In Gedenken an alle, die in den Zeiten des kommunistischen Terrors und unter Stalins Regime leiden und sterben mussten.
Johann Hetterle wurde 1871 im Dorf Scherowo (deutscher Name Peterstal) geboren. Die wohlhabende Familie besaß einen kleinen Bauernhof, zudem war Johann ein angesehener Prediger in der Baptisten-Gemeinde des Dorfes. 1933 kam es, wie es kommen musste – die Sowjets enteigneten ihn als Kulak [so etwas wie ‚reicher Bauer‘] und damit nach ihrer Ideologie als Feind des Volkes. Man nahm den auf diese Weise gebrandmarkten Menschen alles weg, bis auf wenige Sachen, die sie im Gepäck haben durften, und deportierte sie nach Sibirien.
So kamen die Hetterles nach Schönfeld im Omsk-Gebiet. Wenigstens in einem hatten sie Glück – das Dorf war auch von Deutschen besiedelt, die sie herzlich aufnahmen und unterstützten.
Ein Wechseln des Wohnsitzes war den Deportierten nicht erlaubt. Nur mit schriftlicher Genehmigung durfte man das Dorf verlassen, sei es auch, um lediglich in die nächste Siedlung zu gelangen. Erst 1956 wurde diese Meldepflicht für die deutsche Bevölkerung Russlands aufgehoben.
Im Grunde war das gesamte Leben der Deutschen vorprogrammiert, Schicksalsschläge gleich inbegriffen. Im Juli 1937 erfolgte er auch schon – der nächste schwere Schlag. Mein Großvater, sein ältester Sohn (Mamas Bruder) sowie acht weitere deutsche Männer aus dem Dorf wurden als Verräter verhaftet. Mein Vater erzählte, es sei eine Anweisung von ‚oben‘ gewesen – mindestens zehn Dorfbewohner mussten es sein. Nun, der Auftrag wurde planmäßig und mit großem Erfolg durchgeführt: alle bis auf einen, erhielten die höchste Strafe (das erfuhr man aber erst in den Zeiten der Perestroika). Man riss sie nachts aus dem Schlaf und brachte sie fort. Für immer. Es gab keine Erklärung, keine Anklage, kein Gerichtsverfahren – nichts. Alle Erkundungen vonseiten der Familie stießen auf eine Mauer des Schweigens, und zu oft Fragen stellen war bekanntlich sehr gefährlich in diesem Land.
Erst 1989 bekam mein Bruder auf die erneute Anfrage eine Antwort von der Staatsanwaltschaft (deutsche beglaubigte Übersetzung):
„Auf Ihre Anfrage bezüglich des Schicksals Ihres Großvaters hin teile ich Ihnen mit:
Auf Anordnung der Troika des UNKWD für das Gebiet Omsk vom 17.11.37 ist IWAN HETTERLE, geboren 1871, erschossen worden. Auf Anordnung des Präsidiums des Gebietes Omsk vom 29.01.58, auf den Protest des Gebietsstaatsanwalts hin, ist die Anordnung der Troika aufgehoben worden und der Strafprozess eingestellt, da keine Straftat vorlag. Die Bescheinigung über die Rehabilitierung können Sie beim Versorgungsdienst erhalten.“
Dieses Schreiben benötigt keinen Kommentar, der Inhalt der nüchternen Zeilen spricht für sich selbst. Bemerkenswert – Johann Hetterle wurde bereits 1958 rehabilitiert, die Familie zu benachrichtigen hielt man jedoch für überflüssig.

Dieser Artikel, allerdings auf Russisch, ist auf dieser Seite veröffentlicht:
http://bessmertnybarak.ru/Geterle_Ivan_Pavlovich/
Links zu Namens-Eintragungen in Memorial-Büchern:
http://www.gedenkbuch.rusdeutsch.ru/karta/132094
https://nekropole.info/ru/Ivan-Geterle-1871
http://lists.memo.ru/index4.htm
Fotocollage (Titelbild) – mit freundlicher Genehmigung von Andrej Schalajew – dem Gründer und Betreiber der russischen Internet-Plattform Bessmertny Barak
Was für ein grausames Regime. Es ist so lange her und immer noch so aktuell. Es passiert immer noch. Wenn nicht mehr in Russland, dann woanders. Hoffentlich nicht auch wieder bei uns. Sicher bin ich mir im Moment nicht.
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Ich bin mir auch nicht sicher, hoffe aber, dass in Deutschland mehr aus der Geschichte gelernt worden ist. In Russland verehren leider immer noch sehr viele Stalin und sind der Meinung, dass zu seiner Regierungszeit alles besser war … Aber das, was dieser (Un)Mensch getan hat, kann ihm kein Tiran der Welt mehr nachmachen … Ich habe mir vorgenommen, in meinem Blog hin und wieder über seine Verbrechen zu berichten; so etwas darf nicht in Vergessenheit geraten.
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Schrecklich – diese Behörden Willkür. Der sind leider auch heute viele Leute ausgeliefert!
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