Veröffentlicht in Poesie, Rezension

„Wie Schatten werden“ – Rezension

Gedichte rezensieren ist nicht leicht. Dafür bin ich keine Profirezensentin und auch keine große Poesiekennerin. Ich muss sogar zugeben – in Deutschland lese ich nicht so oft Gedichte. Ich bin mit der Poesie von Puschkin, Lermontow (meinem Lieblingsdichter), Jessenin, Achmatowa und anderer russischer Dichter aufgewachsen. Mit der deutschen Lyrik jedoch konnte ich von Anfang an nicht so richtig warm werden. Aber vielleicht nur, weil ich mich nicht intensiv genug damit befasst habe und es noch Nachholbedarf gibt. 😉

Vor ein paar Tagen bin ich unverhofft in Besitz des kleinen Gedichtbandes „Wie Schatten werden“ gekommen. Schon die ersten Verse finden den direkten Weg in mein Herz, berühren meine inneren Saiten, verschmelzen mit dem eigenen, leisen, dennoch tief sitzenden Schmerz, werden eins mit ihm. Die Gedichte haben etwas Magisches in sich. Sie ziehen mich an und ich muss jedes davon mehrmals lesen, um es aufs Neue zu verinnerlichen und wirken zu lassen.
Wieder einmal wird mir bewusst, dass wir die Last unserer Vorfahren in uns weiter tragen, dass diese Last auch auf meinen Schultern liegt.
Die Autorin und Lyrikerin Lilli Gebhard ist in Deutschland geboren. Sie hat mit der Vergangenheit ihrer russlanddeutschen Eltern und Vorfahren nichts zu tun – denkt man! Und doch beschäftigen sie ihre Schicksale. Doch möchte sie davon erzählen – in knappen, ungereimten Versen. Gerade diese Ungereimtheit machen die Gedichte so kraftvoll, verleihen ihnen Ausdruck und Gewicht.

Wenn wir die Toten begraben hätten
Doch wir konnten es nicht
Sie liegen noch immer 
Am Wegesrand
In der Steppe
In Birkenwäldern
An Flussufern
Auf den Seelen

Wenn wir sie begraben hätten
Wir müssten nicht nur 
Arbeiten
Geld verdienen
Häuser bauen
Wir könnten leben.

Ja, wir könnten leben. Wir könnten frei und glücklich sein.
Die Toten zu begraben, ihre Schatten nicht mehr hinter sich herzuziehen – wie soll uns das gelingen, wenn es doch so viele sind? Es geht nur auf eine Weise – an sie erinnern, darüber reden und darüber schreiben. Aus dem Herzen heraus – in die Herzen hinein.

Wenn meine Seele Flügel bekäme
Sich ausbreiten würde
Leicht schwebend
An deine Seele heranrührte
Sie würde Frieden finden

So hat die Gedichtsammlung „Wie Schatten werden“ ihren Platz nicht nur in meinem Bücherregal gefunden – auch in meinem Herzen.

https://idrh-hessen.de/interview-mit-dr-lilli-gebhard/

Das Buch im Manuela Kinzel Verlag und bei Amazon

Autor:

Geboren bin ich 1954 in einem deutschen Dorf in Westsibirien (Gebiet Omsk), lebe seit 1992 in Deutschland. Nach 18 Jahren Bibliotheksarbeit in Omsk und 20 Jahren in der Stadtbücherei Lüdenscheid bin ich nun seit Dezember 2019 Rentnerin. Ich schreibe gern für meine Blogs und für die Homepage. Es gibt zwei Buchveröffentlichungen von mir: "In der sibirischen Kälte" und "Andersrum". Einige meiner Texte sind auch als eBooks im Internet frei zugänglich.

4 Kommentare zu „„Wie Schatten werden“ – Rezension

  1. Schon die wenigen Worte der Lyrikerin sprechen mich an. Ich spüre Gefühl, ich spüre Trauer, ich spüre einen Menschen.

    Muss ich mir unbedingt kaufen. Danke für den Tipp liebe Rosa 🙂

    Gefällt 2 Personen

Hinterlasse einen Kommentar