Es ist für mich inzwischen so selbstverständlich – mein Leben im Wohlstand, in der Demokratie. Und doch denke ich oft an vergangene Zeiten, daran, was für ein Glück (im Unglück) ich hatte, in Russland als Deutsche geboren zu sein. Sonst wäre meine Familie dem totalitären Regime wohl niemals entkommen.
Eigenartig, dass das Land mir erst im Nachhinein wie ein Albtraum vorkommt. Als ich noch dort lebte und keine Alternativen kannte, schien mir mein Leben normal zu sein.
Ich hatte zu arbeiten und meine Kinder zu versorgen, mich um meinen Mann zu kümmern und meine Freundschaften zu pflegen. Natürlich hatte ich reichlich Kummer, aber auch viele Glücksmomente.
Was der Sozialismus wirklich bedeutet, zeigte sich den Menschen erst in den letzten Jahren der Sowjetunion. Denn als das morsche System in sich zusammenbrach, erblickten wir die zahllosen Leichen im Keller. Die ganze Welt erschauderte angesichts der unmenschlichen Verbrechen an der eigenen Bevölkerung.
Kategorie: Memorial
Nicht im Krieg, nicht in der Dürrezeit …
(aus dem Russischen)
Winter 1932–1933 in Rostow am Don. Ich bin sieben Jahre alt. Immer öfter höre ich das Wort Hunger. Es gibt auch andere neue Wörter: Essensmarke, Bons, Torgsin*. Torgsin ist für mich so etwas wie ein Märchen, ein Schlaraffenland. Mama bringt ihren Ring und ein paar silberne Löffel dorthin. Ich stehe am Schaufenster und sehe Würstchen, schwarzen Kaviar, Süßigkeiten, Schokolade, Törtchen. Ich verlange nicht danach – verstehe ich doch sehr gut, dass meine Mutter das nicht kaufen kann. Aber ich bekomme etwas Reis und ein Stückchen Butter.
„Nicht im Krieg, nicht in der Dürrezeit …“ weiterlesenIm Januar 1938
Die Waffen in den Händen der kühnen Tschekisten, mit denen nicht nur Männer, auch Frauen, Kinder und alte Menschen getötet wurden, kühlten keinen Tag lang ab. Die Vollstrecker, treu dem „Führer aller Nationen“ hatten sie dauernd im Gebrauch. Jeder dieser Tage hat sich für immer als blutiger Fleck in die Geschichte Russlands eingebrannt.
„Im Januar 1938“ weiterlesenZum Thema Diktatur – Mischas Verbrechen
Diesen Beitrag schrieb ich vor fast genau drei Jahren und heute möchte ich ihn noch einmal veröffentlichen – aus aktuellem Anlass.
In Gedenken an alle, die in den Zeiten des kommunistischen Terrors und unter Stalins Regime leiden und sterben mussten.
Übersetzung (von mir) aus dem Russischen und Fotos – mit freundlicher Genehmigung von Andrej Schalajew – dem Gründer und Betreiber der russischen Internet-Plattform Bessmertny Barak
Wir wissen nicht viel über das Leben von Mischa Schamonin, nur – wie es zu Ende ging. Er war ein Straßenkind und dreizehn Jahre alt, als er am 4. Dezember 1937 in Hungersnot zwei Brotlaibe stahl. Dabei wurde er erwischt und der Miliz übergeben. Es passierte in einem Laden, also war es Unterschlagung von Staatseigentum und somit ein besonders schweres Verbrechen. Kinder zu töten erlaubte Stalin schon 1935, indem er die Anwendung des höchsten Maßes an Sozialschutz – die Erschießung – ab dem zwölften Lebensjahr legalisiert hatte.
„Zum Thema Diktatur – Mischas Verbrechen“ weiterlesenBeschlossen – Ausgeführt
So unbürokratisch, so zügig, so routiniert (automatisiert, könnte man sagen) wurde meinem Großvater der Prozess gemacht – damals im Jahr 1937. Er war einer von zehn Angeklagten aus demselben Dorf und nur einer von vielen Millionen repressierten Menschen, die in Russland verurteilt, deportiert, in Lager gesperrt, gefoltert und hingerichtet wurden. Wenn ich die wenigen Zeilen aus dem Protokoll der sogenannten Troika lese – und viel mehr noch zwischen den Zeilen – dann wird mir ganz anders …
„Beschlossen – Ausgeführt“ weiterlesenGuter Dienst
Kuratierungsdienste … Darunter konnte ich mir auf die Schnelle nichts Genaueres vorstellen. Also – erstmal lesen und begreifen 🙂 Es ist eigentlich nicht kompliziert – ein Kuratierungsdienst bietet die Möglichkeit, gemeinsam (im Team) an einem Projekt zu arbeiten. Dazu gehören z.B. Google Notizen oder Pinterest.
Wir sollen uns jedoch mit keeeb auseinandersetzen.
Das habe ich getan und einen Account erstellt. Bei der Anmeldung gab es wieder Probleme und ich musste abermals Firefox als Browser nehmen, damit ich den Keeeb-Button installieren konnte; mit Google Chrome funktionierte er nicht.
Nun bin ich – unter meinem wirklichen Namen – angemeldet und darf, wie auch viele meiner Kolleginnen und Kollegen, an bereits vorhandenem Thema mitarbeiten und meine Keeebies beisteuern.
Dieser Dienst ist eine feine Sache. Ideal, um im Team Informationen zu sammeln, Links, eigene Texte oder Bemerkungen und Notizen dazuzufügen. Ideal für Bibliotheken und ihre Projekte.
Was ich ebenso gut finde – auch für private Zwecke ist keeeb git geeignet. So habe ich eine Seite erstellt, auf der ich Links und russische Texte sammeln kann, die ich später ins Deutsche übersetzen möchte. Der Anfang ist gemacht 😉
Mischas Verbrechen
In Gedenken an alle, die in den Zeiten des kommunistischen Terrors und unter Stalins Regime leiden und sterben mussten.
Übersetzung (von mir) aus dem Russischen und Fotos – mit freundlicher Genehmigung von Andrej Schalajew – dem Gründer und Betreiber der russischen Internet-Plattform Bessmertny Barak
Wir wissen nicht viel über das Leben von Mischa Schamonin, nur – wie es zu Ende ging. Er war ein Straßenkind und dreizehn Jahre alt, als er am 4. Dezember 1937 in Hungersnot zwei Brotlaibe stahl. Dabei wurde er erwischt und der Miliz übergeben. Es passierte in einem Laden, also war es Unterschlagung von Staatseigentum und somit ein besonders schweres Verbrechen. Kinder zu töten erlaubte Stalin schon 1935, indem er die Anwendung des höchsten Maßes an Sozialschutz – die Erschießung – ab dem zwölften Lebensjahr legalisiert hatte.
„Mischas Verbrechen“ weiterlesenMein Großvater
In Gedenken an alle, die in den Zeiten des kommunistischen Terrors und unter Stalins Regime leiden und sterben mussten.
Johann Hetterle wurde 1871 im Dorf Scherowo (deutscher Name Peterstal) geboren. Die wohlhabende Familie besaß einen kleinen Bauernhof, zudem war Johann ein angesehener Prediger in der Baptisten-Gemeinde des Dorfes. 1933 kam es, wie es kommen musste – die Sowjets enteigneten ihn als Kulak [so etwas wie ‚reicher Bauer‘] und damit nach ihrer Ideologie als Feind des Volkes. Man nahm den auf diese Weise gebrandmarkten Menschen alles weg, bis auf wenige Sachen, die sie im Gepäck haben durften, und deportierte sie nach Sibirien.
„Mein Großvater“ weiterlesen