Veröffentlicht in Diktatur, Persönliches

Bis ins Bodenlose

Hat die Unmenschlichkeit eine Grenze? … Wenn ich so manche Äußerungen aus der russischen Bevölkerung lese oder Videos sehe, dann komme ich zum Ergebnis – sie geht bis ins Bodenlose. Da scherzen Moderator Anton Krasovsky und Schriftsteller Sergej Lukjanenko in einer Fernseh-Talkshow über russische Vergewaltiger in der Ukraine, sie hätten Viagra erhalten, um ukrainische Omas zu vergewaltigen. Diese Omas würden doch ihre Ersparnisse dafür hergeben, um von russischen Soldaten vergewaltigt zu werden! Im selben Gespräch einen Augenblick weiter ruft Krasovsky auf, ukrainische Kinder zu ertränken und zu verbrennen, damit aus ihnen keine Feinde Russlands heranwachsen. Dagegen scheint ja die Tatsache, dass Kinder auf jede Art und Weise in der Ukraine eingesammelt und für die Umerziehung nach Russland verschleppt werden, schon fast harmlos.

Eine russische Mutter (nicht nur eine!) wird aus der Ukraine angerufen und benachrichtigt, dass ihr Sohn in Gefangenschaft geraten ist. Man bietet ihr ein Gespräch mit ihm an. Was macht sie? Sie schimpft aufs übelste denjenigen aus, der ihr das Telefonat ermöglichen möchte, und verkündet, mit jemandem, der sein Vaterland verraten hat, habe sie nichts zu bereden. Wahrscheinlich wäre es ihr lieber, ihn als „Fracht 200“ zurückzubekommen, damit sie stolz sein kann, dass ihr Kind für Putin sein Leben gegeben hat – als Held, versteht sich.

Was in meiner alten Heimat abläuft, erschüttert mich zutiefst. Die Patrioten schreien von ihrer Liebe zum Vaterland und zum Putin, von besonderer Mission Russlands. Der Führer selbst droht mit Atomwaffen; die Propagandisten gehen noch weiter und malen mit sichtlichem Genus aus, wie diese Waffen einschlagen und Europa vernichten würden. Die Geistlichen segnen die Mobilisierten mit den Worten, das Töten der Ukrainer sei keine Sünde, sondern so von Gott gewollt, und falls sie selbst sterben würden, dann kämen sie angesichts ihrer Heldentaten (selbstverständlich!) direkt in den Himmel.

Familien der Mobilisierten bekommen übrigens – je nach Region – unentgeltlich (als Entschädigung?) Holz und Kohle, kiloweise Fleisch und Fisch, Säcke mit Kartoffeln und Zwiebeln, sogar ein ganzes Schaf oder Schwein. Großzügig, nicht wahr? Jedoch müssen die angehenden Kämpfer sich selbst um ihre Ausrüstung kümmern, aber was macht man nicht alles für die gerechte Sache! Über die ausgerufene Teil-Mobilisierung könnte man lachen, wenn sie nicht so widerrechtlich und abscheulich wäre.

Und ist das zu fassen? Putins Freund und erster Bluthund Ramzan Kadyrow schickt seine drei Söhne (14, 15 und 16 Jahre alt) an die Front, und sie – ganz der Papa! – präsentieren ihm stolz gefangene ukrainische Soldaten.

Gerade gelesen: Ein Deputat der Gosduma schlägt vor, auch Frauen in den Militärdienst einzubeziehen, sowie das in Israel praktiziert wird. Im Sinne – wenn schon, denn schon! Dabei ist die russische Armee ein Haufen versoffener, gewalttätiger Männer; die meisten sind nicht einmal richtig ausgebildet. Das ist noch nie anders gewesen. 1992 war meine größte Furcht – mein Ältester würde einberufen. Die zwei Jahre in der Armee hätte er nicht überlebt! Zum Glück haben wir es gerade noch geschafft, nach Deutschland auszusiedeln.

Dem Diktator sind mittlerweile alle Mittel recht, wie es scheint. Herr Putin will zeigen, wie mächtig er ist. Koste es, was es wolle. Er muss eben den Nazismus in der Ukraine ausrotten. Aber ist er nicht selbst ein Nazi? Dafür spricht doch einiges: Die Symbolik (wie die Russen auf Z und V kamen, kann allerdings keiner erklären); das Zujubeln der Massen ihrem Führer; die Behauptung, die Ukrainer seien kein richtiges, kein eigenständiges Volk. Ganz zu schweigen von der Propaganda-Maschinerie, von Unterdrückung der Proteste und dem Verbot jeglicher Äußerungen zum Krieg und zu Putins Politik.

Immer wieder lese ich in den Foren: Die USA seien an allem schuld. Die USA hätten absichtlich Putin provoziert, damit sie, nachdem er die Ukraine platt macht, in das Land frei einmarschieren können. Oder – andere Version – USA nutzten Ukraine als Mittel zum Zweck aus, um Russland zu schwächen und demütigen. Es sind noch einige andere Verschwörungstheorien im Umlauf, die Russland als Opfer darstellen. Und Europa wird weiterhin als Gayrope bezeichnet, die keine moralischen Werte mehr hat und auf dem Weg ins Verderben ist. Besonders viel kriegt natürlich Deutschland ab. Ohne Gas würden wir hier nicht durch den Winter kommen, behaupten die Russen. Warum sonst hätten die Berliner schon fast vollständig den Tierpark abgeholzt? …

Die Zukunft scheint düster. Geht Putin aufs Ganze? Macht er einen Rückzieher (was ich kaum glaube)? Kommt es doch zu einem Aufstand derjenigen, die noch klar denken können? Wird er gestürzt? Oder stirbt er zeitig ganz von allein? Der Ausgang bleibt offen und unvorhersehbar.

PS: Inzwischen hat der RT-Moderator Anton Krasovsky sich öffentlich für seinen Aufruf entschuldigt (und wurde sogar gefeuert): Er habe sich in Rage geredet und nicht gemerkt, dass er Grenzen überschritt.
Das macht ihn in meinen Augen keinesfalls sympathischer.

Bild: Shrooomy / Pixabay

Autor:

Geboren bin ich 1954 in einem deutschen Dorf in Westsibirien (Gebiet Omsk), lebe seit 1992 in Deutschland. Nach 18 Jahren Bibliotheksarbeit in Omsk und 20 Jahren in der Stadtbücherei Lüdenscheid bin ich nun seit Dezember 2019 Rentnerin. Ich schreibe gern für meine Blogs und für die Homepage. Es gibt zwei Buchveröffentlichungen von mir: "In der sibirischen Kälte" und "Andersrum". Einige meiner Texte sind auch als eBooks im Internet frei zugänglich.

16 Kommentare zu „Bis ins Bodenlose

  1. Es ist einfach grässlich, liebe Rosa. 😿💖

    Und weißt du, als der Kostümfreund und ich gestern Nacht vor der Russischen Botschaft in Berlin gestanden und dort die vielen, vielen Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine fotografiert haben, da fuhr ein Radfahrer vorbei… Der allen an dem Mahnmal Stehenden im Vorbeiradeln zubrüllte: „Nazis unterstützen, bäh!“ 🤔😒🐙

    Mit den „Nazis“ meinte er ganz klar die UkrainerInnen, und wir dachten nur, wie himmelschreiend dumm/ungebildet/fehlgeleitet dieser Radfahrer mit seiner faktisch völlig falschen Aussage denn war. Unglaublich, wie viele Leute seiner Art es gibt.

    Was tun, fragt man sich wirklich. 😟

    Bitte halte durch. VVN

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  2. Ich bin auch eine Russlanddeutsche, bin mit zwei Jahren nach Deutschland gekommen, aber viele meiner Verwandten sind erst viel später gekommen, die kommen auch alle aus Sibirien. Im Odnoklassniki sehe ich ab und zu, was sie liken. Die sind auch so richtige Putinfreunde und es entsetzt mich total, dass sogar meine Cousins so denken. Leider ist mein Russisch nicht so gut, so dass ich das Meiste nicht wirklich verstehe, nur ansatzweise. Zum Glück denkt meine Mutter anders und hat eine ukrainische Familie als Mieter aufgenommen. Mit denen versteht sie sich echt prächtig und sie erzählen auch oft, was grad in der Ukraine los ist.

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    1. Liebe Nell,
      es gibt nicht viele russlanddeutsche BloggerInnen bei WP, um so mehr freue ich mich, von dir hier zu lesen. Ich habe auch gerade gesehen, dass du dasselbe Theme Scratchpad für deinen Blog benutzt, also – noch etwas Gemeinsames. Dann werde ich mich mal auf deinem Blog umsehen und ihn auch gleich abonnieren. 😉
      Was das Thema Putin betrifft, so weiß ich von vielen, dass sie sich in der Familie deswegen zerstritten haben. Ich kann es nicht nachvollziehen, dass gerade die Deutschen aus Russland, deren Eltern und Großeltern so viel Leid erfahren mussten, die jetzige Diktatur verteidigen.
      Ich hoffe sehr, dass Putin seine gerechte Strafe bekommt – noch zu Lebzeiten.
      Herzliche Grüße
      Rosa

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  3. Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es heraus. Eine menschenverachtende, verrohte Diktatur bringt in der Masse ein ebensolches Volk hervor. Völkermord und Totschlag, Kriegsverbrechen, Vergewaltigungen, Menschenrechtsverletzungen, Agitation, Hetze, Lügen … alles Kinder des selben Vaters. Sicherlich gibt es eine psychologische Begründung, warum ein Volk das eigene Denken eingestellt hat (wir Deutsche müssten es eigentlich wissen) und wie dummes, aber auch ängstliches Vieh der Propaganda bis in den Tod (sogar dem der eigenen Kinder!) folgt.

    Ich für meinen Teil bin nur zutiefst verstört über diese Abgründe, die sich auftun und ahne, dass NACH Putin nur VOR einem anderen Psychopathen bedeutet. Und genau diese Hilflosigkeit wächst sich zu Wut und Hass aus, und ich merke, wie Gefühle in mir wachsen, die leider auch wenig empathisch sind. Die Spirale der Eigendynamik eines Krieges beginnt sich unaufhaltsam zu drehen …

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  4. Liebe Rosa,
    was Du schilderst, lässt einem das Blut in den Adern gefrieren.
    Es ist schon vieles geschrieben, das ich genau so empfinde, einschätze, sehe und was ich nicht mehr wiederholen muss.
    Es ist offensichtlich sehr einfach, aus vielen Menschen einfach Bestien zu machen.
    Und ich behaupte es immer wieder: Verantwortung für eine bessere Welt fängt bei unseren Kindern an. Wenn wir ihnen zeitgerecht beibringen, dass menschliches Leben wertvoll ist, dann müsste es zu schaffen sein, eine menschenwürdige Entwicklung einzuläuten.
    Wenn ich von Kriegsvergewaltigungen und Kindersoldaten lese, dann ist es bei mir ganz aus … Ich habe mit genug traumatisierten Kindern gearbeitet, was sind das nur für Rohlinge, die sowas einfordern und auch noch witzig finden.
    Mir graut vor den Niederungen der Menschheit!
    Ich verlinke direkt zu meinen Erfahrungen mit traumatisierten Kindern …

    Tieftraurige Grüße, C Stern

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    1. Es ist schwer zu erklären, oder vielmehr zu verstehen, warum die Menschen in Russland so denken und handeln. Ist es die Wirkung der Propaganda? Sind sie infolge der jahrzehntelangen „Säuberungen“ (Stalin) degradiert? Vernebelt ihnen der Wodka das Hirn und macht ihre Kinder krank?
      Du hast recht – es fängt in den Familien bei Kindern an. Und da läuft in Russland schon lange etwas falsch bis hin zur Perversität: https://rosasblog54.com/2022/04/16/patriotisch-oder-hirnlos/ So lange die Mütter ihre Kinder und sich selbst in Kriegsmontur stecken und den Krieg verherrlichen und romantisieren, so lange werden die Kinder zu Unmenschen heranwachsen. Bleibt zu hoffen, dass sie jetzt die Gelegenheit bekommen, das wahre Gesicht des Krieges zu sehen und ihn am eigenen Leib zu spüren. Aber ob das etwas ändert in ihren Köpfen?

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      1. Liebe Rosa, ich bin dankbar, von Dir zu hören, was die Menschen in Russland denken und sagen. Uns ist es ein Rätsel und wir haben ja kaum Zugang zum „russischen Volk“.
        Allerdings ist es schrecklich, was Du berichtest. Die Mütter – nein, nicht zu glauben! Werden wohl nicht alle sein. Aber wollen sie denn lieber den toten Sohn und die entsprechende „Ablöse“, als den gefangenen Sohn in einem Gespräch frei zu handeln?
        Ja, und man kann fürchten, dass nichts Besseres nachkommen würde, nach Putin. Aber man dürfte auch ein kleines Bisschen hoffen.

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      2. „Ja, und man kann fürchten, dass nichts Besseres nachkommen würde, nach Putin. Aber man dürfte auch ein kleines Bisschen hoffen.“
        So ist es, Liebe Elsa!
        Herzliche Grüße
        Rosa

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  5. Liebe Rosa,
    ich habe dem nichts Ermutigendes hinzuzufügen. Dennoch versuche ich mich weiter daran festzuhalten, dass es, trotz allem Geplärr und Gebrüll in Russland — und auch trotz manchem Hanebüchenen durch nichts zu rechtfertigenden dummem, überheblichem, arrogantem Gerede von aus Russland stammenden Menschen hierzulande — auch immer noch jene Menschen gibt, die sich nicht von der Propaganda einlullen lassen, Menschen, die aktiv protestieren oder zumindest in die innere Emigration gegangen sind. Es sind wenige, viel zu wenige. Dennoch, es ist ein kleines Reisigzweiglein, aus dem vielleicht doch eines Tages etwas erwachsen kann.
    Herzliche Grüße Dir
    Ines

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    1. Ja, es gibt diese Menschen, zum Glück und zur Hoffnung auf eine Zukunft für Russland. Bloß schreien sie nicht so hysterisch wie die von Propaganda infizierten. Auf diese Menschen kann das Land in Zukunft bauen … Wenn es nicht noch schlimmer kommt – nach Putin.

      Gefällt 1 Person

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