Veröffentlicht in Diktatur, Persönliches

Neutrale Haltung?

Gestern entdeckte ich einen Blogartikel, in dem mein Beitrag „Die Unterhaltung“ kommentiert wurde. Zunächst wollte ich nicht reagieren, aber dann packte es mich doch.

So traurig! Heute las ich einen Dialog in wordpress zwischen einer aus Russland nach Deutschland „Geflohenen“ mit einer Russin, die das Unrecht aus einer anderen Warte aus betrachtete/fühlte. Es fielen beleidigende Worte zwischen den beiden, die voller Abscheu auf die Position des anderen schaute. Die Eine sah nur das Schreckliche, was den Ukrainern angetan wurde und die andere was den Russen für Unrecht geschieht. Aussichtslos da eine neutrale Haltung zu erreichen. Und auch wenn die Seite, die deftige Worte benutzte, vielleicht im Recht war und der Wahrheit näher, so setzte sie sich doch ins Unrecht, weil sie dies tat mit menschenverachtenden Ausdrücken. Die andere, die auch nur eine einseitige Wahrnehmung aus ihrer Perspektive hatte – fand sich bestätigt durch die Wortwahl der anderen – dass diese im Unrecht sein würde.

So entstehen Kriege in den Köpfen, die dann in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Das Gemeinsame ist jedoch das Menschsein, (es sind verletzte Seelen) aber diesen Blick können sie nicht einnehmen in ihrer Verteidigung ihres eigenen Welt-gemachten-Bildes. Die Spaltung ist vollkommen gelungen. Und das machen Kriege immer, die Folgen eines Krieges sind immer auf beiden Seiten, oft über mehrere Generationen wirken sie nach. Beiden Seiten ist verborgen, dass dies gewollt ist, dass es da Mächte gibt, die uns bösartig lenken und über Jahrhunderte bereits ihr Spiel mit den Ohnmächtigen treiben. Und es ist ihnen gelungen und der Ausweg liegt nur in uns – ob wir weiter mitspielen, das Spiel der Schuldzuweisungen.

„Die eine sah nur das Schreckliche, was den Ukrainern angetan wurde …“, wird mir gewissermaßen vorgeworfen. Sorry für diese simplen Fragen: Kann man denn etwas Gutes, Positives in einer Aggression gegen ein anderes Land sehen? Kann der Überfall auf die Ukraine gerechtfertigt sein? Womit?

„Und auch wenn die Seite, die deftige Worte benutzte, vielleicht im Recht war und der Wahrheit näher, so setzte sie sich doch ins Unrecht, weil sie dies tat mit menschenverachtenden Ausdrücken.“ Mit anderen Worten: Die Sichtweise der anderen ist an der Wahrheit näher (als meine), doch leider benutzte sie Schimpfwörter und entwertete damit ihre Wahrheit. Und die Wahrheit der „Anderen“ fasse ich jetzt einmal zusammen:

  1. Nicht die Russen bombardieren die Ukraine, sondern NATO.
  2. Viele unserer (russischer) Jungs sterben. Nun, dagegen ist nichts einzuwenden, allerdings sterben auch die UkrainerInnen, darunter nicht wenige Zivilisten und Kinder; viele Kinder werden nach Russland verschleppt und dort festgehalten – ein schwerwiegendes Kriegsverbrechen.
  3. Deutschland versorgt die Ukraine mit Panzern. Dem stimme ich zu und so ist es auch gut.
  4. Der russische Soldat ist unbesiegbar. Diese Behauptung halte ich für einen, von Russen geschaffenen Mythos; der russische Soldat ist ein hinterhältiger Mörder und Vergewaltiger, so war er schon immer.
  5. Die Ukraine und die NATO bombardieren seit 2014 Donezk und Lugansk. Ach ja, die berühmt-berüchtigten 8 Jahre. Darauf sage ich nichts.
  6. Der Angreifer ist das faschistische Deutschland.
  7. Söldner aus allen Ecken der Welt, die USA und Deutschland – das sind die Aggressoren.

Wenn ich die zwei Punkte, denen ich zustimme, herausnehme – was bleibt? Und das soll (auch wenn nur ansatzweise) wahr sein? Dann können wir genauso in den Verbrechen von Stalin und Hitler etwas Gutes sehen. Tun wir aber nicht! Macht die Bloggerin sicher auch nicht. Warum sucht sie denn in Putins Verhalten etwas, was ihn rechtfertigt? Putin ist Stalins Nachfolger, bloß ein wenig kleiner. In Russland blüht die Diktatur auf und schreitet mit großen Schritten voran. Ich behaupte einmal, dass ich das besser weiß, als sie – ich weiß, was in dem Land geschah und geschieht, Jahr für Jahr, Tag für Tag. Es wird immer schlimmer und es gibt dafür keine Entschuldigung – in keinerlei Hinsicht.

Laut der Bloggerin ist mein eigenes „Welt-gemachtes-Bild“ (was immer sie darunter versteht) ein falsches. Mit dem ihren stimmt es gewiss nicht überein. Doch ich kann es nur wiederholen: Ich kenne Russland besser als sie. Was sie kennt, sind Verschwörungstheorien, nicht umsonst schreibt sie – ich zitiere: „Beiden Seiten ist verborgen, dass dies gewollt ist, dass es da Mächte gibt, die uns bösartig lenken und über Jahrhunderte bereits ihr Spiel mit den Ohnmächtigen treiben.“ Nein, keiner lenkt mich bösartig! Und über so viel Selbstwertgefühl verfüge ich, um zu sagen: Menschsein / Empathie ist eine meiner guten Eigenschaften. Doch eine neutrale Haltung, was Putins Krieg betrifft, kann und werde ich nie einnehmen.

PS: Übrigens bin ich damals aus Russland nicht geflohen, sondern habe nach gestelltem Antrag zwei Jahre auf den Aufnahmebescheid gewartet. Erst danach durfte ich (mit meiner Familie) als Aussiedlerin in die BRD einreisen und bekam einen Vertriebenenausweis. Heißt im Klartext: Die Deutschen in der UdSSR waren Verfolgungen, Repressalien und Diskriminierungen ausgesetzt. Mein Großvater und mein Onkel sind 1937 aufgrund ihrer Nationalität hingerichtet worden, mein Vater hatte sieben Jahre im Arbeitslager verbracht. Auch hier wage ich, zu behaupten: Sie alle traf keine Schuld, schuld war das Regime – ohne Wenn und Aber. (Wagt jemand, dem zu widersprechen?) … Laut Bundesvertriebenengesetz haben sie und ihre Nachkommen das Recht, in ihrer historischen Heimat aufgenommen und eingebürgert zu werden.

PPS: „So entstehen Kriege in den Köpfen, die dann in die Wirklichkeit umgesetzt werden.“ In meinem Kopf? … Krieg? … Ohne Kommentar – ehrlich …

Bild von Matthias Bozek auf Pixabay

Autor:

Geboren bin ich 1954 in einem deutschen Dorf in Westsibirien (Gebiet Omsk), lebe seit 1992 in Deutschland. Nach 18 Jahren Bibliotheksarbeit in Omsk und 20 Jahren in der Stadtbücherei Lüdenscheid bin ich nun seit Dezember 2019 Rentnerin. Ich schreibe gern für meine Blogs und für die Homepage. Es gibt zwei Buchveröffentlichungen von mir: "In der sibirischen Kälte" und "Andersrum". Einige meiner Texte sind auch als eBooks im Internet frei zugänglich.

15 Kommentare zu „Neutrale Haltung?

  1. WTF????
    Ich habe selten keine Worte. Aber nach dem Lesen dieser Auslegung deines Beitrags fehlen sie mir.
    Sag mal, wer hat denn diese Leute gegen den Kamm friesiert?
    Gut, dass du das teilst. Nett von dir, dass du das anonymisiert hast.

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    1. Auf deine Frage habe ich auch keine Antwort. Es ist und bleibt mir ein Rätsel.
      Ich habe den Namen der Bloggerin nicht genannt, weil sie meinen auch nicht angegeben hat. Wäre der Kommentar direkt unter meinem Beitrag erschienen, hätte ich sicher kein Problem, offen darauf zu antworten.

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  2. Liebe Rosa, ich finde diesen Kommentar ganz und gar nicht neutral. Im Gegenteil, die dort angeführten pro Rzssland Argumente sind ein Hohn und eine Ohrfeige für Jeder/Jedem von diesem Angriffskrieg betroffenen Person. Ärgere Dich nicht.
    Liebe Grüße!
    Barbara

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  3. Ein Beispiel dafür, dass man das wahre Ausmaß von Geschehnissen erst erkennen kann, wenn man in einem Land gelebt hat / lebt. Diesen Hinweis hat auch einmal eine sehr bekannte österreichische Journalistin gegeben, die ich sehr schätze. So gut kann Journalismus gar nicht sein, selbst der beste nicht, wenn man nicht in einem Land und mit den Menschen lebt, mit ihnen spricht, ihre Sorgen teilt, ihre Werte kennt – aber auch die Abgründe, auf die ein Land zusteuert, seine Politiker*innen und die, die durch öffentlichkeitswirksame Auftritte Menschen beeinflussen, manipulieren usw. Es erschüttert mich auch zutiefst, zu sehen, wie sehr russische Kinder begeistert gefeiert werden, wenn sie in martialischem Schritte vor sich hinmarschieren. So wird Krieg gefeiert, inszeniert und weiter befeuert.
    In all diesen Kenntnissen hast Du, liebe Rosa, einen entscheidenden „Vorteil“, auch, wenn Dein Wissen um dieses Land mit vielen schrecklichen und qualvollen Erinnerungen verbunden ist.
    Ich stimme mit allem überein, was Du schreibst!

    Leid tut es mir in diesem Krieg aber auch um jene Russinnen, die all das nicht wollen und die dafür mit ihrem Leben bezahlen. Wohl sind es erschreckend viele, viel zu viele Soldaten und Zivilistinnen, die Putin und allen anderen Befürworter*innen dieses entsetzlichen Krieges folgen, aber ich bin ebenso überzeugt davon, dass es auch russische Soldaten gibt, die verzweifelt sind. Vielleicht, weil sie das Unrecht erkennen und nicht nur Angst vor dem eigenen Sterben haben – die aber keinen Ausweg sehen. Was bei Desertation passiert, das können wir uns wohl alle lebhaft vorstellen …
    Auch die religiösen Führer Russlands spielen eine schreckliche Rolle, wie ich immer wieder bemerke. Man sieht, wie zutiefst menschenverachtend institutionalisierte Religion eingesetzt werden kann.
    Ich schicke Dir herzliche Grüße und wünsche Dir trotz all der Schrecken ein möglichst gut verbrachtes Wochenende!
    C Stern

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    1. Liebe C Stern,

      eben deswegen, weil ich es sozusagen aus erster Hand weiß und ja – weiß, was in dem Land vor sich geht, wie es war in Zeiten des Stalinismus, ärgert es mich, dass diejenigen, die das alles nicht kennen, meinen es doch besser zu wissen. Glauben sie mir nicht? Glauben sie den vielen Zeitzeugen nicht? Es gibt immer weniger Menschen, die das Grauen miterlebt haben, aber es gibt jede Menge Schriftliches. Ja, man kann es kaum begreifen, dass Menschen solche Unmenschen sein können. Es ist unvorstellbar, aber es war so. Allein, wie mit Frauen und Kindern der „Volksfeinde“ umgegangen wurde – ist eine eigene, schreckliche, voller Grauen, Geschichte. Und es passiert wieder – nach dem gleichen Muster!
      Ach, liebe C, Dir muss ich ja nichts erklären.
      Im Internet kursiert ein Video, in dem ein russischer Soldat einem ukrainischen den Kopf mit einem Messer abschneidet, und die drumherum Stehenden ihn befeuern, es richtig zu machen …
      Ein anderes Video zeigt Neugeborene, die in Militärdeckchen gewickelt werden, mit dazu passenden Schleifchen – ein neuer Trend in Russland. Von Kindern in Kriegsuniform ganz zu schweigen.
      Ich weiß nicht, wo das alles hinführt …
      Und jetzt mache ich Schluss, sonst schreibe ich mich noch selbst in Rage.
      Viele herzliche Grüße
      Rosa

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      1. Liebe Rosa,
        von diesem Wahnsinnsvorfall, den Du schilderst, Stw. Kopf ab, habe ich gehört. Mehr möchte ich dazu gar nicht hören oder sehen, denn es schmerzt mich einfach zu sehr, was da abgeht.
        Aber was ich noch dazu äußern möchte, ist, dass ich in meinem ehemaligen Beruf Szenen erlebt habe, die mir zeigen, wie brutalisiert Kinder bereits sein können … Mit ein Grund, warum ich nach sehr langer Zeit meinen einst so geliebten Beruf an den Nagel gehängt habe. Ich habe es nicht mehr ertragen, einem System zu dienen, das auf ein Schulsystem setzt, in welchem es wichtiger ist, möglichst bald einen Umgang mit Tablet und neuerdings auch KI zu erlernen, als Kinder zunächst einmal in sozialer Hinsicht „fit“ zu machen. Viele Kinder dieser Zeit haben gravierende Mängel in Hinblick auf soziale Kompetenzen, können keine Konflikte lösen, gehen unsagbar brutal miteinander um. Sie werden in ein System gepresst, das nur die Verwirtschaftung und das Produzieren kleiner SoldatInnen im Sinn hat. So wird unsere Gesellschaft ganz sicher gegen die Wand fahren.
        Ich war auch unzählige Male Zeugin von Vorfällen, wo sich Kinder gegenseitig befeuert haben, wenn die einen den anderen Schreckliches angetan haben. Leider konnten wir die Eltern mit unseren Interventionen eher selten erreichen, solchen Gesprächen gingen sie lieber aus dem Weg. Dies hatte auch mit Überforderung, Gleichgültigkeit und ebenso mit bestimmten Überzeugungen zu tun.
        Achja, auch ich mache einen Punkt, solche Bilder taugen nicht zum Schlafengehen …
        Sei ganz lieb gegrüßt, C Stern

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      2. Manchmal kommt mir der Gedanke: Menschen sind zum Aussterben verdammt, nicht nur infolge der Kriege, sondern einfach weil sie einander umbringen – bis keiner mehr da ist … Vielleicht haben wir aber doch das Glück und das Gute in uns siegt und behielt die Oberhand …

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  4. Ich habe gehört, dass es eine aus der Ukraine stammende app geben soll, die russischen Soldaten Hinweise gibt, wie sie es am sichersten anstellen können, sich von der ukrainischen Seite gefangennehmen zu lassen und dadurch aus der unmittelbaren Lebensgefahr herauszukommen. Und angeblich sollen das auch schon viele in Anspruch genommen haben. Ob es stimmt, weiß ich aber leider nicht

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    1. Ja, das stimmt. Ob es eine App oder eine Internetplattform ist, weiß ich nicht so genau, aber diese Möglichkeit gibt es. Viele russische Soldaten nutzen sie. Sie werden als Gefangene gut behandelt und medizinisch versorgt. Bei YouTube gibt es ein Canal mit Interviews der Gefangenen, geführt von zwei ukrainischen Bloggern. Sehr interessant und aufschlussreich, besonders, wenn die Soldaten mit ihren Angehörigen sprechen (per Videotelefon). Da kommen Gespräche zustande, unglaublich. Die befragten Soldaten bekommen dann die Chance für einen Tausch. Ist alles auf freiwilliger Basis, keiner zwingt sie zu Gesprächen. Falls Du etwas damit anfangen kannst: https://www.youtube.com/channel/UCwWArPXqGLslRWaP-zKYiXg

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