Manchmal, eigentlich sehr selten, versuche ich mich in Gedichten. Da ich dieses Literaturgenre nicht beherrsche, kommt auch meistens nichts Gutes dabei heraus. Ab und an jedoch gefällt mir das, was ich mir da zusammenreime. „Schneesturm“ ist eines dieser meiner „Raritäten“ 😉
Wer mich kennt, weiß, dass ich sehr kälteempfindlich bin und den Winter nicht mag. Ja, ich bin in Sibirien geboren und man sollte meinen, ich wäre mit dieser Jahreszeit bestens vertraut. Aber damals – im Dorf, wo ich aufwuchs, da war der Winter noch richtig zauberhaft und abenteuerlich, wenn auch etwas zu lang. Die Zeit meines Erwachsenendaseins (bis zur Ausreise im Dezember 1992 nach Deutschland) verbrachte ich in Omsk, in einer großen, schmutzigen, stinkenden Stadt, in der das Wort Winterzauber fehl am Platz war. Ich denke, es versteht sich von selbst, warum, und darüber will ich hier auch nichts weiter schreiben.
Zurück zu dem Gedicht. Entstanden 1994, ist es sicher nicht perfekt und entspricht nicht allen Regeln des Dichtens. Dennoch – es gibt perfekt die Stimmung eines fünfzehnjährigen Mädchens wieder, das viel mit sich und dem Leben zu kämpfen hat – in einem ihrer schönen Momente.
Schneesturm
Im Gestern ist der Frost geblieben,
Der Winter aber noch in vollem Gange,
Der Wind hat seine kalte Wut vertrieben
Für kurze Zeit.
Was will ich mehr von ihm verlangen?
Er schenkt mir einen Schneesturm heute –
Mein Lieblingswetter. Mir zur Freude!
Der Wind ist sanft und trotzdem kräftig.
Er wirft mir feine Nadeln ins Gesicht.
Er tobt und wirbelt mit Gelächter
Im Hexentanz.
Das macht er ganz bestimmt für mich!
Ich tanze mit dem Wind durch Schnee
Ich spüre keinen Druck in mir. Nicht mehr!
Ich fühle mich wie neu, bin aufgelebt.
Die kleinsten Sorgen sind verschwunden.
Mein Herz ist rein und unbeschwert,
Gedanken klar.
Mein Feind in mir ist festgebunden.
Wie herrlich ist das – frei zu sein,
Wenn im Herzen – Sonnenschein.
Der Wind beruhigt sich fast plötzlich.
Am Abend wird es still. Es schneit.
Die Flocken fallen weich und zärtlich
Auf mein Gesicht,
Wie Teilchen aus der Ewigkeit …
Nur 15 Jahre bin ich hier,
Auf dieser Welt. Mein Leben liegt vor mir.
1994

Dieser Artikel als Gastbeitrag auch bei Blog Q5
Auch eine Jahreszeit, aber nicht gereimt 🙂 Mein Herbst 1969
Das gefällt mir sehr. Danke auch, dass du ein Bild von deinem Dorf zeigst.
Leider hat sich die Welt verändert und so manches lebt nur noch in unseren Erinnerungen.
Liebe Grüße
Ulli
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Danke! Das Foto ist von ca. 2012, zu der Zeit ist das Dorf schon sehr verändert, fast alle der Deutschen haben ihre Häuser verkauft und sind jetzt in Deutschland. Aber der Schnee ist noch der gleiche, wenn auch nicht in solchen Maßen, wie früher 🙂
Liebe Grüße
Rosa
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Ich kenne Leute, die schreiben seit 20 Jahren Gedichte mit Endreim. Und immer hab ich die Gedichte nicht gemocht, weil sie in jeder Zeile acht Silben benutzen und sich dann diese Monotonie im ewig gleichen Rhythmus auch beim lauten oder stillen Lesen als „Runterleiern“ bemerkbar merkt und irgendwie einschläfert – Gähn.
Anders dein Gedicht und das ist das best gehütetste Geheimnis der Lyrik, dass man nämlich gegen die Regeln verstoßen und gegen den ewigen Gleichklang im Endreim vertoßen muss, um ein Gedicht bei Spannung zu halten. Du schreibst drei Zeilen und dann – als auflockernde Zäsur – eine halbe Zeile (bei dir 4 Silben) und dann nochmal drei Zeilen. Schon Hermann Hesse hat betont, dass er die Silben nicht zählt, sondern nach Gefühl schreibt.
Was soll ich noch lang reden: Ein Gedicht kann alle Regeln des Metrums befolgen und trotzdem grottenschlecht sein oder es kann kleine Regelbrüche enthalten und aber verdammt gut sein, weil es nicht etwa auf den rechten Reim immer ankommt, sondern auf den rechten Sinn .. Das wussten schon Goethe und Heine und viele andere, aber da bemäkelt es keiner, weil es um heilige Apostel der Literatur geht und da ließ man es ein Geheimnis sein, dass auch die Großen ständig gegen die Regel verstoßen, demit die Schüler in der Schule nicht revoltieren und ihre „Verslehre“ in Deutsch oder Kunst nicht vernachlässigen.
Stell dir vor, die Kids wüssten nicht, was ein Jambus. ein Trochäus, eine Alliteration oder ein Enjambement oder wie eine Ode aufgebaut ist oder ein Sonett. Nicht auszudenken. Also hievt man die alten Dichter auf eine Säule und spricht ihnen Unfehlbarkeit zu .. Heine hatte manchmal, um den Sinn zu waren überhaupt in einer Verszeile den Reim gänzlich unterschlagen, aber keiner hats gemerkt, weils unterging in der Schönheit der Offenbarung und die Germanisten übergingen es, drückten ein Auge zu ..
Dein Gedicht – verzeih mir – ist zum Weinen schön, weil das 15jährige Mädchen zutiefst nachfühlbar die Seele berührt, ob es nun damals oder heute durch dich schreibt: Lyrik heißt eigentlich in erster Linie: Gefühle für die Nachwelt konservieren und das ist hier besonders schön gelungen. Es steht nicht im Text, aber am Ende sehe ich Tränen, teils aus Freude, teils aus Trauer sich auf dem Gedicht mit den schmilzen Flocken aus der Ewigkeit verbinden.
Ja, man darf in Gedichte auch eigene Evokationen „einfließen“ lassen, man darf weiter spinnen, darf seine Situation hinzu mischen ..
Danke dir einmal wieder ❤
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Oh, danke sehr für deinen ausführlichen Kommentar! Schön, dass dir mein Gedicht so gefällt. Vom Dichten habe ich keine Ahnung, weder die Formen noch die Regeln betreffend. Über den Schneesturm meiner Jugend schrieb ich einfach so, aus dem Herzen heraus. Intuitiv. Manchmal (oder auch oft) ist die Intuition dann eben doch das Beste. 😉
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