Veröffentlicht in Literatur, Rezension

„Die Stille bei Neu-Landau“ – Rezension

Nachdem ich das Buch zu Ende gelesen und aus der Hand gelegt hatte, gingen mir viele Gedanken durch den Kopf.
Traurig – die Geschichte einer Liebe, die glücklicher und erfüllter sein könnte, wenn die Beteiligten über ihre Gefühle gesprochen und nicht nur pflichtbewusst gehandelt, wenn sie für ihre Liebe gekämpft hätten … Aber konnten sie das überhaupt – zu dieser Zeit, in diesem Land? Wo es doch damals oft ums nackte Überleben ging, wo Gefühle unterdrückt und so zur Nebensache werden mussten?

Katharina Martin-Virolainen erzählt uns in ihrem Roman nicht nur die tragische Geschichte einer Familie. Es ist auch ein eindringlicher Appell an alle, besonders jedoch an die Russlanddeutschen, eine Ermutigung oder auch Aufforderung, miteinander zu kommunizieren, sich auszutauschen. Viele der Älteren reden nicht über das Erlebte – aus Angst, aus Schmerz, aus Scham, sie versuchen alles zu vergessen, wollen andere damit nicht belasten. Aber das ist der falsche Weg, denn so reißt irgendwann die Verbindung zwischen den Generationen ab. Dann verlieren die jungen Menschen die Achtung vor ihren Eltern und Großeltern, das Verständnis für ihr Handeln.
Andererseits ist auch die Bereitschaft der Nachkommen zum Nachforschen, Nachfragen nicht weniger wichtig. Die Hartnäckigkeit, würde ich sagen. Die Kinder und Enkelkinder dürfen nicht aufgeben, sie sollten immer wieder versuchen, die Eltern und Großeltern zum Reden zu bewegen, das Erzählte aufzuschreiben und zu bewahren.
Im Roman ist es der jungen Julia gelungen, so eine Verbindung herzustellen – zu ihrer Großtante. Gerade noch rechtzeitig, möchte man dazu sagen. Und das gibt Hoffnung.
Die Zeit schreitet voran und es bleiben immer weniger Zeugen dessen, was in der UdSSR geschah, Zeugen der ungeheuerlichen Verbrechen des Regimes. Diese Verbrechen können sich Menschen, die nicht betroffen waren und sind, kaum vorstellen. Ihnen sind vielleicht die historischen Fakten bekannt, aber nur wenige persönliche Geschichten. Wie viele Schicksale sind schon in Vergessenheit geraten, weil die Menschen schwiegen, weil sie nicht erzählten, was ihnen und ihren Familien widerfahren ist.
Wir haben nicht mehr viel Zeit. Die, die uns noch bleibt, sollten wir nutzen, um das Schweigen zu durchbrechen und so viel wie möglich ans Licht zu bringen.
Russlanddeutsche. Was sind das für Menschen, was zeichnet sie aus, was sind ihre Stärken, wo liegen ihre Ängste? Sind sie in Deutschland angekommen? Wie definieren sie Heimat, haben sie überhaupt eine? Vielleicht finden die Leser*innen für sich im Buch auch auf diese Fragen Antworten.
„Die Stille bei Neu-Landau“ … bewegend, eindringlich, sehr lesenswert, nicht nur für Russlanddeutsche – für uns alle.

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Homepage von Katharina Martin-Virolainen: https://www.martikat.de/

Autor:

Geboren bin ich 1954 in einem deutschen Dorf in Westsibirien (Gebiet Omsk), lebe seit 1992 in Deutschland. Nach 18 Jahren Bibliotheksarbeit in Omsk und 20 Jahren in der Stadtbücherei Lüdenscheid bin ich nun seit Dezember 2019 Rentnerin. Ich schreibe gern für meine Blogs und für die Homepage. Es gibt zwei Buchveröffentlichungen von mir: "In der sibirischen Kälte" und "Andersrum". Einige meiner Texte sind auch als eBooks im Internet frei zugänglich.

2 Kommentare zu „„Die Stille bei Neu-Landau“ – Rezension

  1. Oh, Mannomann, Rosa, Du verlängerst meine ohnehin schon endlose Lese-Wunschliste! Ich finde Augenzeugenberichte in Bezug auf Geschichte bedeutungsvoller als Sachtexte, die sicherlich fundiert, recherchiert und um Objektivität bemüht sind, aber leider dadurch auch distanziert anmuten. Ein einzelner, echter Mensch erreicht mit seiner Erzählung direkt das Herz seines Lesers, Fakten gehen den Umweg über das Gehirn und schaffen es von dort nur selten weiter. Kommunikation ist das A und O im menschlichen Miteinander und oft schon habe ich mich über exaltierte Rezensionen über erdachte, übertrieben gefühlsduselige, verkitschte Romane gewundert bei gleichzeitiger Ignoranz wahren Leids, das in seiner Schlichtheit viel schmerzvoller und unerträglicher ist/war.

    Die Generation der Zeitzeugen stirbt und mit ihnen Geschichten, die, so fürchte ich, immer weniger wissen wollen. Dabei sind darin unser aller Wurzeln – die Geschichte unserer Vorfahren ist auch immer unsere. Ganz besonders im Hinblick auf die kulturelle Identitätsfindung der Betroffenen – egal aus welchem Land! Danke für die einfühlsame Rezension.

    LG, Heather

    Gefällt 1 Person

    1. Das ist doch schön! Dann geht Dir der Lesestoff nie aus. 😉 Aber bei mir ist es genauso – ich komme mit dem Lesen auch nicht nach.
      Ich danke Dir für Deine Worte. Ja, leider leben nicht mehr viele Menschen, die uns über die Vergangenheit erzählen können. Meine Eltern sind auch schon lange tot und ich bedaure es zutiefst, nicht mit ihnen geredet zu haben. Jetzt wüsste ich, welche Fragen ich ihnen stellen würde, aber es ist nicht mehr möglich. Toll finde ich, dass so viele (jedenfalls kenne ich viele) der Russlanddeutschen schreiben. Das Bedürfnis, die schwere Vergangenheit der Eltern und Großeltern (oft auch die eigene) aufzuarbeiten ist doch groß. Und das ist gut so!
      Liebe Grüße
      Rosa

      Gefällt 1 Person

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