Auf die „gesammelten Scherben“ war ich sehr gespannt. Denn Scherben sammeln ist ein Begriff, der mich sofort in meine Kindheit versetzt, in die Zeit, als ich noch sechs – acht Jahre alt war und wirklich Scherben sammelte. Auch wenn man es vielleicht nicht glaubt – es war eine abenteuerliche Beschäftigung für ein kleines Mädchen im Dorf. Aber um mich soll es ja hier nicht gehen, sondern um meine Meinung zu dem Buch von Melitta L. Roth.
Ich sage es gleich: Die Autorin hat meine Erwartungen keineswegs enttäuscht, im Gegenteil – ich finde die Texte, die Kurzgeschichten, die dazwischen „gestreuten“ Miniaturen und kleinen Gedankensplitter sehr gelungen. Nicht umsonst – die Assoziation mit den Scherben meiner Kindheit. Für mich waren es damals Kostbarkeiten, ebenso kostbar sind die im Buch zusammengebrachten „Scherben“. Nein, sie passen nicht unbedingt zueinander – die Menschen, die dahinter stecken … Zu unterschiedlich sind sie. Wir erleben Großmütter und Großväter, Vertreter der jüngeren Generation, Jugendliche. Und doch eint sie alle etwas. Sie sind zusammen ein eigentümliches Volk, wenn man das so sagen darf. Ein besonderes Volk, das vor Jahrhunderten entwurzelt wurde, um nach langer Reise in der Fremde Fuß zu fassen und ein neues Leben aufzubauen, um dann erneut der Heimat vertrieben zu werden. Ein Volk, das verfolgt, gedemütigt, entwürdigt, der Freiheit beraubt wurde. Wie viele waren es, die nicht überlebten, die ohne jegliche Schuld hingerichtet wurden? … Ein Volk, das letztendlich zu seiner Urheimat zurückgefunden hat … und sich doch wieder fremd fühlt.
Jede Scherbe / jeder Charakter ist anders, wertvoll und einzigartig, aber alle sind sie perfekt geschliffen und ins Licht gesetzt. Und alle tragen sie eine Botschaft, oder besser – mehrere Botschaften.
Man muss einfach das Buch in die Hände nehmen, lesen – Geschichte für Geschichte, und betrachten – Scherbe für Scherbe. Am Ende stellt sich heraus – Russlanddeutsche sind gewiss Menschen so wie du und ich, mit ähnlichen Sorgen, Träumen und Hoffnungen … Und doch sind sie anders, denn sie haben einen besonderen, einen langen und steinigen Weg hinter sich, der teilweise so schlimm war, dass sie darüber nicht zu sprechen wagen. So schlimm, dass sogar die junge Generation noch unter Einfluss dieser Vergangenheit leidet. Melitta L. Roth hat sich aufgemacht, um diesen Menschen mit ihren Geschichten eine Stimme zu geben.
Nun schlage ich das Buch noch einmal auf und ein paar Zeilen springen mir ins Auge. Sie lassen mich den Atem anhalten. Wie viel Wahrheit steckt hinter diesen Worten!
Es war eine unpersönliche Sprache, so als wäre sie selbst aus ihren Sätzen verbannt worden.
Man hat.
Man wurde.
Man musste eben.
Man ist und bleibt in der Welt eine graue Masse Mensch. Formbar. An irgendeinen Ort platzierbar. Deportierbar.
Ersetzbar.
Herdenmensch.
Kleine Steinchen auf einer staubigen Straße, von einem Stiefel angestoßen und zum Rollen gebracht. Bloß kleine rollende Steinchen.
„Gesammelte Scherben“ bei Amazon.
„Gesammelte Scherben“ im ostbooks-Verlag.
Blog von Melitta L. Roth: https://scherbensammeln.wordpress.com/
Ja, da stellst du wieder ein wichtiges Buch vor, dessen Inhalt mit deiner frühen Vergangenheit eng verknüpft ist und man hört deinen Worten zu, die sich in die Seele fräsen Wort für Wort, Satz für Satz. Ich könnte dir stundenlang zuhören, deiner dir eigenen Sprache lauschen, deinem Respekt vor allen Menschen, deiner Achtung vor der Freiheit. Es gibt übrigens ein Wettbewerb für diese Selfmade-Bücher à la BOT. Ließ mal hier:
https://wordpress.com/read/feeds/106528283/posts/3324711790
Ich wünsch dir einen schönen Muttertag und viel Sonne – besonders im Herzen, Sven ❤
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Danke, Sven! Du machst mich ja ganz verlegen. 😌 Aber ja – „Gesammelte Scherben“ von Melitta L. Roth ist in gewisser Weise mit meiner Vergangenheit verknüpft, doch nicht deswegen habe ich es vorgestellt, sondern weil es wirklich gut ist. 😊
Was den Wettbewerb betrifft – den kenne ich, der kommt aber für das oben genannte Buch nicht infrage, weil es im Verlag erschienen isr. Mein eigenes Buch „Andersrum“ habe ich zwar selbst veröffentlicht, aber schon 2018, und damals wusste ich von diesem Wettbewerb nichts und habe somit meine Chance vertan. Jetzt ist es zu spät.😊
Liebe Grüße und einen wunderschönen Sonntag
Rosa
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