Am Dienstag hatten wir in unserem Haus einen Großeinsatz – mit Polizei, Notarzt und Feuerwehr. Nein, gebrannt hat es nicht, aber etwas Schlimmes ist geschehen.
Am besten erzähle ich der Reihe nach, so wie alles anfing.
Vor ein paar Wochen sah meine Frau unsere Nachbarin Frau B. im Treppenhaus sitzen, mit blutverschmierten Beinen, die sie notdürftig mit Taschentüchern umwickelt hatte. Dagmar fragte, was passiert sei und ob sie einen Arzt rufen sollte. „Nein, nein – alles gut“, war die Antwort, „bin nur hingefallen, ist nicht so schlimm wie es aussieht“. Das Angebot, sie bis zur Wohnung zu begleiten, lehnte sie ab, bat bloß darum, die Tasche hochzutragen und vor die Tür zu stellen, was meine Frau auch getan hat.
Am nächsten Tag entdeckten zwei Nachbarn Frau B. in ihrer offenen Garage neben dem Auto auf dem Boden sitzen. Wieder wehrte sie sich kategorisch gegen Hilfe.
Es vergingen ein paar Tage. Man sah und hörte sie nicht. Frau S., die Nachbarin von oben, fing an, sich Sorgen zu machen, versuchte, sie telefonisch zu erreichen. Da sie den Hörer nicht abnahm, hinterließ sie auf dem AB eine Nachricht mit der Bitte, sich zu melden. Keine Antwort. Man klingelte und klopfte an der Tür, an den Fenstern vom Garten aus, rief laut ihren Namen. Nichts. Frau S. verständigte die Polizei, die auch schnell kam, zusammen mit Krankenwagen und Feuerwehr. Es wurde wieder an der Tür gehämmert, gerufen: „Frau B., hier ist die Polizei, machen Sie bitte auf!“ Endlich öffnete sich die Tür einen Spaltbreit und sie streckte den Kopf heraus; auf die Frage, ob es ihr gut gehe, ob sie Hilfe benötige, antwortete sie barsch: „Mir geht es gut. Ich habe keine Lust, mit Ihnen zu reden, ich brauche nichts“.
Zugegeben, die Nachbarschaft war empört über dieses Verhalten. Wieder vergingen Tage. Frau B. gab weiterhin kein Lebenszeichen von sich. Man informierte den Sozialdienst und das Ordnungsamt. Zwei Beamtinnen erschienen, klopften abermals an der Tür (die Klingel war wohl abgestellt). Keine Reaktion. Unverrichteter Dinge gingen sie wieder, mit den Worten, da könne man nichts machen, wenn jemand keine Hilfe annehmen möchte, hat er das Recht dazu. Man könne bloß abwarten, bis die Frau sich zeigt … oder bis es zu stinken anfängt … Letzteres trat dann auch ein, obwohl zunächst nur leicht wahrnehmbar.

Die Wohnung von Frau B. direkt gegenüberEin Versuch am Montag, einen Einblick ins Fenster der Nachbarin von unserer Loggia aus zu bekommen, ergab Folgendes: In ihrem Wohnzimmer leuchtete in der Dunkelheit irgendein Monitor, sonst – keine Bewegung. Dasselbe Bild war am Dienstagspätnachmittag unverändert zu sehen. Ein paar besorgte Nachbarn versammelten sich bei uns in der Wohnung, und nach kurzer Beratung beschlossen wir, die Polizei einzuschalten. Das war um 21.30 Uhr. Die Polizei kam auch wieder ziemlich schnell und plötzlich wurde der Weg vor unserem Haus voll mit Blaulicht der Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen.
Die Feuerwehrleute versuchten erst, die Wohnungstür der Nachbarin aufzubekommen, was ihnen wegen des Sicherheitsschlosses nicht gelang. Da sie sie nicht aufbrechen wollten, kletterten sie über unsere Loggia hinüber zur Loggia der Nachbarin und so konnten sie eine auf dem Boden liegende Gestalt ausmachen …

An dieser Ecke kletterten die Feuerwehrleute über das Geländer
Feuerwehraxt.
Bild von OpenClipart-Vectors auf PixabayEs war schon etwas unheimlich, als ein Feuerwehrmann mit einer großen roten Axt durch unsere Wohnung marschierte und über das Geländer kletterte. Die Balkontür der Nachbarin wurde ausgehebelt und so gelangten die Männer in die Wohnung. Wie wir schon alle ahnten, war Frau B. tot, wahrscheinlich bereits seit einigen Tagen.
Dazu muss ich sagen, dass die Frau sehr zurückgezogen lebte, keinen Kontakt zu den anderen Hausbewohnern pflegte und nie einfach so jemandem die Tür öffnete. Warum sie schließlich auch die Klingel deaktivierte, bleibt ein Rätsel. Sie hatte wohl keine nahen Angehörigen, keine Familie. Aber sie war Parteimitglied der AfD – das wussten alle. Natürlich tut das nichts zur Sache – ein Mensch ist ein Mensch. Es erklärt nur die gewissen Spannungen zwischen ihr und den anderen hier im Haus, warum sie unbeliebt war und vielleicht auch, warum sie so sterben musste. Doch helfen wollte man ihr ja; hätte sie es zugelassen, wäre es vielleicht nicht so gekommen und sie wäre noch am Leben.
Erst nach Mitternacht kehrte im Hausflur Ruhe ein. Die Polizei hatte ihre Arbeit abgeschlossen, die Leiche dem Bestatter übergeben. Das Licht im Treppenhaus ging endgültig aus und es wurde still.
Dieser Vorfall hat Dagmar und mir, sowie bestimmt allen hier im Haus, erst einmal viel Stoff zum Nachdenken gegeben.


In der Tat gibt dieses Geschehen bis zum bitteren Ende gewaltig Stoff zum nachdenken! Alles Gute euch
LikeGefällt 2 Personen
Besonders, wenn man in einem gewissen Alter ist …
LikeLike
So traurig
LikeGefällt 1 Person
Es ist erschütternd…
Und sie hinterlässt reichlich „warum“
LikeGefällt 2 Personen
Ja, die Warum’s werden wohl unbeantwortet bleiben.
LikeGefällt 2 Personen
Wenn der Krimi echt wird, dann wird einem wahrscheinlich ganz anders zumute.
LikeGefällt 3 Personen
So ist es. Dass man mit so etwas konfrontiert werden kann, damit rechnet ja keiner …
LikeGefällt 1 Person
Ähnliches passierte hier auch in unserem Haus. Ein stark depressiver Mann schnitt sich die Pulsadern auf. Auch er war ein Einzelgänger und lehnte jeglichen Kontakt zu uns ab… Es gibt so viel Einsamkeit/Elend unter uns Menschen… einfach nur erschreckend!
LG
LikeGefällt 3 Personen
Das stimmt leider. 😔
LikeGefällt 2 Personen
Zuweilen liest man über solche Dinge, aber sie bleiben fern. Kommen sie so nah wie bei euch, reagiert man menschlich und ist schockiert. Ich hoffe, ihr ‚verdaut‘ diese Erschütterung des Alltags und die Aufregung gut. Die Verknüpfung Alter – Krankheit – Einsamkeit beschäftigt jedoch dauerhaft.
LikeGefällt 2 Personen
Du sagst es! Wir wissen nicht, was uns noch erwartet, können nur hoffen, dass es „glimpflich“ ausgeht. Auch für unsere Lieben …
LikeGefällt 1 Person
Schlimm ist das, aber wenn jemand mehrmals angebotene Hilfe immer wieder ablehnt, was soll man machen….
LikeGefällt 2 Personen
Und jeder Mensch hat das Recht auf eigene Verwahrlosung, haben wir uns sagen lassen. Da kann man wohl auch kaum etwas machen.
LikeGefällt 2 Personen
Seitdem ich das gelesen habe, riech ich vor jeder Tür Verwesungsgeruch. Vielleicht sollte ich auch einfach mal wieder duschen ..
(Sorry, ist meine Art damit fertig zu werden. Ohne meinen schwarzen Humor hätt ich mir schon längst die Kugel gegeben)
LikeGefällt 1 Person
Früher war ich sehr geruchsempfindlich, seit einer Grippe (schon vor Jahren) kann ich in diesem Sinne kaum noch etwas wahrnehmen. Trotzdem bilde ich mir jetzt ein, dass es in unserem Treppenhaus ganz komisch riecht, was meine Frau aber nicht bestätigen kann. 😳
LikeGefällt 1 Person
Das ist manchmal auch das Wissen um den Geruch. Wenn du an Zitrone denkst, zieht sich auch alles zusammen. Unsere Sinne reagieren schon auf Erinnerungen. Wahrscheinlich ein Schutzmechanismus des Instinktes. Ach, Rosa, du bist ja so ne süße Maus .. <3
LikeGefällt 1 Person
😃Na, so süß bin ich auch nicht (mehr). 😜
LikeGefällt 1 Person
Doch!!!
LikeGefällt 1 Person
Ja, Freiheit geht auch in diese Richtung..
LikeGefällt 2 Personen
Ein *krimi * direkt vor der
Nase und man steht sprachlos und weiss nicht recht, was man hätte anders machen können…
Sehr traurig, so zu sterben
Einen lieben gruss von bruni
LikeGefällt 2 Personen
Ja, sie war schon seit mehreren Tagen tot und keiner wusste es.
Liebe Grüße
Rosa
LikeGefällt 2 Personen
Schrecklich
Ob sie sich selbst verletzte, um nicht mehr leben zu müssen?
LikeGefällt 1 Person
Ich denke, eher nicht.
LikeGefällt 2 Personen
Auch die Befürchtung so zu enden, ließ uns unsere Wohnung wechseln. Denn es gibt Häuser, wo es nicht an der Person liegt, die sich zurück zieht und absondert, sondern wo die Nachbarn einander im Stiegenhaus vielleicht grüßen, zwei Meter davor aber ignorieren, bzw. wo niemand mit den anderen freundlich spricht. ….. Es ist schön, dass die Hausgemeinschaft bei euch alles getan hat, um zu helfen und es Frau B. war, die keinen Kontakt wollte. Sie möge in Frieden ruhen und ihr alle bald euren Frieden machen mit dieser herausfordernden Situation. Das wünschen wir euch von Herzen. ♥️🌻🍀
LikeGefällt 1 Person
Danke, liebe Benita, für euren Zuspruch! Die Frau wollte keinen Kontakt, zu niemanden. Sie war auch extrem rechts orientiert, das machte Freundschaften im Haus schwierig. Trotzdem hätte man ihr geholfen, hätte sie nur die Hilfe zugelassen.
Euch alles Liebe und viele Grüße
Rosa
LikeGefällt 1 Person
Liebe Rosa, das ist schrecklich und wird Euch wohl noch länger beschäftigen.
Als ich als junge Frau einige Jahre in einer kleinen Wohnung wohnte, wusste ich nicht, dass in dieser Wohnung einst ein Mann verstorben war. Auch ihn fand man, weil der Geruch so penetrant war.
Ich habe das erst bei meinem Auszug erfahren, doch mein damaliger Freund und ich haben hin und wieder bemerkt, dass es in der Wohnung gespukt hat. Wir wussten nicht warum, aber wenn ich daran denke, gruselt es mich heute noch.
Ich grüße Dich herzlich, C Stern
LikeGefällt 2 Personen
Wir wissen nicht, was mit der Wohnung geschieht – ist Eigentum gewesen, da wird wohl nach den Erben gesucht (kann auch sein, dass die Frau ein Testament hatte, sie war übrigens 79). Aber wohnen würde ich darin nicht wollen. Wer weiß, vielleicht wird es demnächst im Hausflur anfangen zu spuken? 😱🫣
LikeLike