Manchmal haben Worte die Kraft, uns auf eine ganz besondere Weise zu berühren und mit unseren eigenen Gefühlen in Einklang zu treten. Für mich waren es die Gedanken von Ilona M., die sie mir vor über zehn Jahren zukommen ließ. Diese Worte beziehen sich nicht nur auf die kleine Lisa aus der Novelle „Andersrum“, sie sind auch an die Frau gerichtet, die diese Geschichte verfasst hat. 🙂
„Trotz allen Widrigkeiten das Leben gut zu meistern“ ist kein spektakulärer, jedoch existentieller Wunsch. Dieses sagen zu können: „Mein Leben“ und „ich habe es gemeistert“ sind nun zweierlei. „Mein Leben“ heißt natürlich erst einmal, es zu haben, was ja beileibe nicht selbstverständlich ist und permanent gefährdet. Und außerdem heißt es, dieses Leben auch tatsächlich spüren zu wollen (was in Phasen der Depression keine Selbstverständlichkeit ist), es annehmen zu wollen, mit all seinen schönen und hässlichen Facetten. Dazu gehört Gottvertrauen und ein stabiler Unterbau. Lisa, das kleine sibirische Mädchen in „Andersrum“ von Rosa Ananitschev, hatte nur einen relativ schwachen, wäre da nicht die Mutter gewesen, die – wenn auch müde, so doch zur Liebe fähig war. Und wäre da nicht die eigene innere Stärke gewesen, die Lisa so gerade noch am Leben erhielt, die sie in die Welt hinaus brachte und zu einem neuen Anfang.
„Ich habe es gemeistert“ heißt, erst einmal viel, viel zu lernen und dann etliche Prüfungen zu bestehen. Wem da nicht Schweiß und Tränen und schlaflose Nächte einfallen … aber auch die Genugtuung, es geschafft zu haben, ein Reifezeugnis in Händen zu halten, um festzustellen: „Ja, ich bin reif. Ja, ich habe genug getan.“
Genug. Ein kleines Wort, unscheinbar und in der heutigen Zeit nicht sehr gebräuchlich. Das Wörtchen passt nun auf die kleine wie die große Lisa / Rosa wie kein anderes. Genug gelitten. Genug, um zu (über)leben. Genug vom Schweigen. Genug Mut, um eben jenes Schweigen zu brechen. Genug Zeit vergangen, um über die Vergangenheit zu reflektieren. Sie genügend lange von allen Seiten zu betrachten. Genug, um sich ihr zu stellen.
An uns und Lisas / Rosas Umwelt ist es nun, genügend Achtsamkeit für sie mitzubringen, um sie nicht durch das eigene Schweigen wieder in die Finsternis zurückzutreiben. Denn wie Rosa in ihrem „Offenen Brief“ schon treffend erkannte: „Ja, leider gibt es so einen Duh wie in „Andersrum“ nicht im wirklichen Leben“. Stimmt. Aber es gibt sehr wohl ein DU!
So liegt es nun an dir und mir, dieses DU zu sein. Ein Gegenüber, ein Mensch, ein Kollege oder eine Kollegin oder ein/e Leser/in ihrer erstaunlich unprätentiösen und doch starken Texte. Ich möchte dir nun, liebe Rosa, nach Abschluss unserer achttägigen Begegnungen endlich das DU sein, das genug Zeit hatte, über alles nachzudenken, um „Hallo, Du!“ zu sagen.
Ich habe eine stille, jedoch aufmerksame und empfindsame Frau kennengelernt, die sich einen Schutzpanzer umgelegt hat, durch den sie – wie es auch bei Schildkröten gut funktioniert – immer wieder einmal mutig ihren Kopf herausgestreckt hat. Um zum Beispiel schreibend an der Welt teilzuhaben und sie sich zurückzuerobern.
Wird es dir dabei zu viel, schützt dich dein Panzer ganz schnell wieder. Dagegen ist nichts einzuwenden. Behalte ihn dir, doch komm bitte, bitte ganz oft auch wieder aus ihm hervor, beispielsweise, um ein neues Buch zu schreiben. Besser aber noch, den gedruckten Worten gesprochene Worte nachzusenden.
Sprich mit uns, die wir (heimlich oft) ein DU sein wollen, doch manchmal einfach selbst nicht GENUG an Mut haben, GENUG an Achtsamkeit, GENUG an Wärme, GENUG an Lebensfreude … die wir mit dir teilen können. Ich schlage vor: Sag uns einfach, wann du genug von … hast und wann du nicht genug an … hast und freue dich über jedes „Ich habe genug auch für dich, Rosa, übrig“, das man dir entgegenbringt. Alles andere lässt sich nicht erzwingen. Aber genau das willst du ja auch nicht.
Liebe Rosa, das Beispiel deiner Lisa / Asil hast du gut gewählt und sensibel beschrieben, du hättest es kaum besser machen können. Was, habe ich mir überlegt, ist das Mindeste, was du mit der Geschichte erreichen kannst bei Menschen, denen diese oder ähnliche schmerzvolle Erfahrungen erspart blieben (wobei so ziemlich alle irgendwann einmal etwas Verstörendes erlebt haben)? Die dich nicht persönlich kennen und mit deinen Geschichten eine Erklärung an die Hand bekommen, warum du so bist, wie du bist? Meine Antwort ist:
Möge das Buch „Andersrum“ (und all die anderen Erzählungen von dir) vielen Menschen helfen, einfach nur menschlich zu bleiben. Denn „ein dunkles Duh“ mag ja zuweilen ein willkommenes Konstrukt zum Überleben sein, doch echte, mitfühlende Menschen, die zu Freunden werden, die auszusprechen vermögen „Ich liebe dich doch auch …“ sind ihm allemal vorzuziehen.
Lass’ uns Freunde sein.
Ilona
5.12.2014



Liebe Rosa, mit Verwunderung las ich diesen (meinen) damaligen Text und musste meine Tränen zurückhalten, so angerührt hat er mich heute selbst. Jedes Wort würde ich wieder so schreiben, aber dass ich sie einmal genau SO schrieb, ist mir nicht mehr bewusst gewesen.
Es macht mich froh, dass ich ein Impuls für dich und dein inneres Kind sein durfte. Denn so viele Verbindungen gehen im Laufe der Zeit verloren, in die man (ich) Liebe und Achtung aufgebracht hat (habe), und von der man (ich) gerne wüsste, ob es und wie es mit dem Menschen weitergegangen ist. Auch ein wenig nach dem Motto: „Du bist verantwortlich für das, was du dir vertraut gemacht hast“ (Saint-Exupéry).
Doch oftmals möchten diese Beziehungen gar nichts weiter mehr von einem (von mir), ziehen weiter, gesundet, gestärkt, zuversichtlich … sie vergessen jene, die daran mitgearbeitet haben. Oder es hat nichts geholfen, aber auch das würde man (ich) wissen wollen, um daraus etwas zu lernen.Dieses – ich sag’s mal so: – nicht mehr in einer „akut-intensiven“ Beziehung zu stehen, ist auch nicht tragisch, sondern entwicklungsbedingt und völlig okay. Auch ist ein ständiges Zurückschauen und Verweilen in (auch guten) Bekanntschaften zuweilen belastend. Denn es bedeutet, mehr als ein Leben zu führen und sich zu vielen (vermeintlich) widmen zu müssen.Dazu reichen weder Zeit noch Kraft. Es dürfen, schätze ich mal, auch einmal bedeutsame Beziehungen ein Ende finden, um bereit für neue zu sein.
Liebe Rosa, dennoch hatte ich viele deiner Veröffentlichungen eine geraume Weile und bis heute still verfolgt. Ich gewann den Eindruck, ich muss mich nicht „einklinken“. Es sind da so viele andere, und du bist stark und immer stärker und mutiger geworden, bist deinen Weg gegangen und kannst auch anderen durch deine Ehrlichkeit und Selbstreflexion dazu verhelfen, den ihren zu finden.
Doch nun zu erfahren, dass du meine Zeilen von damals noch immer wertschätzt, berührt mich natürlich sehr. (Und ein 10-Jahres-Rückblick ist ja schließlich legitim.) ;-)
Mich erinnest du daran, weiterhin „aktiv“ zu werden, wenn ich das dringende Gefühl habe, dass mein Mich-Einbringen Segen bringen kann. Und ich gebe zu, ich hatte das in den vergangenen Jahren in den Offline-Bereich verlagert und dem großen, weiten Netz, welches ich berufsbedingt habe, nicht mehr so sehr die Aufmerksamkeit geschenkt. Die Menschen sind mir auch heute oftmals so fremd geworden, so kurzatmig, nichtssagend oder auch übertrieben, auf Effekt und Reichweite aus, narzistisch oder naiv wirkend … Menschen wie du sind nach wie vor selten und werden es immer mehr. IIch glaube, die Wahrnehmung, die ich da eben leicht frustriert formulierte, nennt sich Altern. ;-) Ein Prozess, der negativ fürs Seelenleben enden kann, passt man nicht höllisch auf. Dank also heute an dich, Rosa, mich an meine in mir wohnende Barmherzigkeit, Liebe und Menschenfreundlichkeit zu erinnern, die zuweilen etwas müde zu werden scheint.
Doch irgendwann einmal kommt alles wieder zurück und wird zu deinem eigenen Glück und seelischem Wohlbefinden beitragen. In diesem Sinne möchte ich enden. Was immer wir – Du und ich und alle – in die Welt setzen … es begleitet uns eine zeitlang, manchmal auch unsichtbar und fast vergessen, und es ist präsent, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Im Guten wie im Schlechten. An uns liegt es, wie viel Gut-Haben wir uns anderen und dadurch uns selbst für die Zukunft schenken wollen.
Danke für dein „gutes“ Da-Sein, Rosa!
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Liebe Ilona,
auch ich habe mich gerade gewundert, dass du so schnell diesen Beitrag entdeckt und kommentiert hast. Es fühlt sich gut an, dass ich, wenn auch nicht aktiv (aus Gründen, die du schon genannt hast, und denen ich nur zustimmen kann) immer noch in deinem Leben einen Platz habe. Es stimmt: Wir begegnen im Laufe der Jahre so vielen Menschen, die uns beeinflussen und beeindrucken – die guten Erinnerungen an sie bleiben für immer.
Ich danke dir herzlich für die Gespräche, das Einfühlen in die Welt der kleinen Lisa und dein Verstehen damals und die wunderbaren Worte heute und ja – auch für dein gutes Da-Sein. 💕
Rosa
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Schlechte Erfahrungen wünsche ich keinem, aber auch sie machen uns zu dem Menschen, der wir sind und ich lese gerade von zwei großartigen Menschen, die sich trotz allem in die richtige Richtung entwickelt haben. So jedenfalls meine Meinung. Das Internet hab auch gut Seiten und das beflügelt mich. Ihr beiden seid Vorbilder für viele verzweifelte Menschen. Man kann das Leid der anderen nur mindern, wenn man sich selbst hingibt. Mut ist die Grundvoraussetzung und ein wenig geistiges Kämpfertum. Da kann Mann nur den Hut ziehen und in Demut verharren <3 <3
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Da fühle ich mich doch gleich geehrt. 😊 Aber danke für deine Wertschätzung, Sven. 🥹
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Liebe Rosa,
diese Sensibiltät, die aus den zitierten Gedanken und auch aus den aktuellen Zeilen von Ilona herausleuchtet, ist einfach wunderbar.
Es ist schön, dass es solche feinsinnigen Menschen, zu denen Du auch zählst, gibt. Ich schätze mich glücklich, ebenfalls von sehr empathischen Menschen umgeben zu sein, alle diese Menschen, Ihr seid großartige Weggefährt*innen.
Ich schicke Dir herzliche Grüße, C Stern
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Danke Dir! 🌹🥹
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So viele positive, aufmunternde und wertschätzende Worte – vielen lieben 🙏 Dank! Auch an die unbekannten, wohlwollenden Mitlesenden, die vielleicht still jetzt den Kopf nicken. Lasst euch drücken 🫂, ihr tollen Mitmenschen! Es tut gut, von euch zu erfahren bzw. an euch zu glauben.
Und für euch alle, die es Rosa und ihren Kommentator(inn)en nachmachen möchten, hier meine spontane Aufmunterung zum „heilsamen Schreiben“:
– Zauberkraft der Worte –
Die ZAUBERKRAFT der Worte ist,
was du wohl manchmal sehr vermisst,
wenn es in dunkler Ohnmacht still
und es nicht heller werden will.
Dann halte Ausschau nach dem Guten,
versuche selbst, es hochzubooten.
„Von Nichts kommt nichts“, das weißt du wohl,
auch kleine Schritte sind schon toll.
Denn: Kein liebes Wort bleibt ungehört,
sprich es nur aus, ganz ungeniert.
Schreib auf, wie dir zumute ist,
und wandle es zum Traumgedicht.
Die ZAUBERKRAFT hast du in dir,
der Stift, die Taste, sie sind hier.
Bei Rosa und so vielen weiteren,
half es, sich selbst zum Glück zu leiten.
Dem Glück, auch wenn es zart und leise,
im Satz versteckt auf seine Weise,
sich zwischen Zeilen wispernd regt,
sich heilend auf dein Herze legt.
So kannst gesunden du beim Schreiben,
selbst, wenn sich manche Sätze reiben.
Wort für Wort ergibt bald Sinn,
und führen in dein Selbst dich hin.
Lass teil uns haben an deiner Welt,
grad, wenn sie dir nicht gut gefällt.
Zeig uns dein Leben, wie es ist,
du sicher nicht alleine bist!
Du darfst gern hadern, wild und laut,
verstört, verletzt und überhaupt … –
denn alsbald kommt der eine Tag,
an dem dich trotzdem jemand mag.
Und der sollst DU am besten sein,
der sagt: Hey, ICH, du bist mir fein!
Ich lieb dich ohne Wenn und Aber,
ich lieb dich trotz dem Schmerzgelaber!
Dann, glaub uns, applaudieren wir
und freuen uns so sehr mit dir,
und denken; Wow, sie/er hat’s geschafft!
Dank der Worte ZAUBERKRAFT!
Deine Ilona, und im Namen deiner Mitmenschen!
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Liebe Ilona,
das ist aber ein schönes Gedicht, mit ganz viel Zauberkraft. 😍
Ja, das Schreiben wirkt manchmal Wunder, besonders, wenn du es mit anderen Menschen teilen kannst und Zuspruch bekommst. Dann verliert die Schwere im Herzen etwas an Gewicht und die Welt öffnet sich ein Stückchen weiter von ihrer guten Seite. Jedenfalls geht es mir so und ich hoffe, dass ich noch lange diese Möglichkeit haben werde, mich mit „der Worte ZAUBERKRAFT“ mitzuteilen.
Herzlichen Dank! 💕
Deine Rosa
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