Veröffentlicht in Kurzgeschichten, Menschsein

Warum? – Wiederveröffentlichung


Ein Text über ein Thema, das in unserer Welt leider immer noch aktuell ist – auch in besinnlichen Weihnachtszeiten. Wird die Menschheit eines Tages zur Vernunft kommen und anfangen, ihren Planeten, das Leben zu schätzen und zu schützen? Ich habe da, offen gesagt, wenig bis gar keine Hoffnung.

Geschrieben im August 2011 …

Ich betrachte den kleinen Planeten, der in der Schwerelosigkeit vor mir schwebt. Fast perfekt rund, sieht er aus, wie eine schöne blaue Kugel. Er strahlt Frieden, Ruhe und Glück aus. Er ist vollkommen – auf den ersten Blick.

Ich könnte damit spielen, ihn wie einen Ball hin und her hüpfen lassen. Ich könnte ihn wie einen Stein in die Weite des Alls schleudern, könnte ihn auch vernichten. Aber ich tue es nicht. Ich ziehe ihn näher heran und sehe ihn mir genauer an.

Viele Lebewesen bevölkern den blauen Planeten – die Erde. Es ist ein Wunder, wie Leben entsteht, wie es reift, wie es einzigartig wird, ein Wunder, das bewahrt und beschützt werden sollte. Leider ist der kleine Planet voller Waffen. Die Wesen, die sich Menschen nennen, führen Kriege gegeneinander, zerstören das Wunder – achtlos, rücksichtslos, ohne Erbarmen. Feuer breitet sich an vielen Stellen aus und hinterlässt Tod und Verwesung. Ich könnte das Feuer löschen, den Menschen die Waffen wegnehmen, ihnen Frieden geben – wenn ich Gott wäre. Aber ich bin nicht Gott.
Ich sehe Wesen, die rauben und betrügen, die in der Nacht umherschleichen, morden und vergewaltigen, Hilflose misshandeln und missbrauchen. Wie ich den Planeten auch drehe – sie sind überall, auf jedem Erdteil, in jedem Land, in jeder Stadt. Ich könnte sie einzeln auflesen, sie wie Unkraut jäten und von der Erde entfernen … wenn ich Gott wäre. Aber ich bin nicht Gott.
Ein Kontinent zieht meine volle Aufmerksamkeit an sich. Es ist Afrika – Afrika in den Zeiten der Not. Die Sonne, die sonst für Leben und Wärme sorgt, hat hier den Boden ausgetrocknet, ihn unfruchtbar gemacht. Ich sehe ein Dorf, in dem sich nichts mehr bewegt, in dem ungute Stille eingetreten ist. Hunger und Krankheiten breiten sich dort aus, nehmen immer mehr Platz ein, bringen den Menschen den Tod. Ich könnte ihn stoppen, die sterbenden Kinder retten. Ich könnte aus anderen Regionen der Erde, in denen Wohlstand und Reichtum im Überfluss herrschen, Nahrung und Wasser bereitstellen. Wenn ich Gott wäre.
Aber ich bin nicht Gott! Ich bin ein Mensch.
Ich habe die Macht, den Krieg zu beenden, die Waffen niederlegen zu lassen und sie zu vernichten.
Aber ich tue es nicht!
Ich habe den Verstand, meinem Nächsten, meinen Mitmenschen Liebe und Achtung entgegenzubringen.
Aber ich tue es nicht!
Ich habe die Mittel, dem Hunger in Afrika zu wehren, die Kranken zu heilen, den Menschen wieder Freude an der Sonne und dem blauen Himmel zu geben.
Aber ich tue es nicht!
Ich bin ein Mensch.
Ich kann alles. Aber ich tue es nicht.
WARUM?

Autor:

Geboren bin ich 1954 in einem deutschen Dorf in Westsibirien (Gebiet Omsk), lebe seit 1992 in Deutschland. Nach 18 Jahren Bibliotheksarbeit in Omsk und 20 Jahren in der Stadtbücherei Lüdenscheid bin ich nun seit Dezember 2019 Rentnerin. Ich schreibe gern für meine Blogs und für die Homepage. Es gibt zwei Buchveröffentlichungen von mir: "In der sibirischen Kälte" und "Andersrum". Einige meiner Texte sind auch als eBooks im Internet frei zugänglich.

7 Kommentare zu „Warum? – Wiederveröffentlichung

  1. Liebe Rosa,
    ich dachte mir schon, dass die Kommentarfunktion aus Versehen verschwunden ist. Schön, dass es nun möglich ist.
    „Gott steh mir bei“, das haben sich schon viele Milliarden Menschen gedacht. Wenn es dieses Wesen gibt, dann kann es doch nicht daran interessiert sein, dass wir Menschen einander töten! Leben ist heilig – aber verstehen kann Mensch das nur, Schritt für Schritt, wenn Mensch an das Wunder Leben bereits als kleines Kind herangeführt wird. Und dann immer weiter hineinwächst in dieses Wunder Leben.
    Ja, es gibt ganz viel zu ändern in dieser Welt. Das Große können wir nur im Kleinen beeinflussen – aber das funktioniert! Mag man auch als Träumerle gelten …
    Danke für die Wiederveröffentlichung, Dein Text ist aus so vielen Blickwinkeln lesens- und überdenkenswert! Auch Deine gewählten Fotos passen hervorragend.
    Ganz liebe Grüße zu Dir, C Stern

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    1. Liebe C Stern,
      danke Dir für Deine bewegenden Worte, denen nicht mehr viel zuzufügen ist. Man kann sie vielleicht umformulieren, der Sinn jedoch bleibt. Und so bleibt uns auch nichts anderes übrig, als nach Möglichkeit unsere kleinen und großen guten Taten zum Frieden beizutragen – Steinchen für Steinchen. Und hoffen, dass die menschliche Vernunft Oberhand nimmt und es nicht bald zu spät sein wird.
      Wir hätten wahrlich einen Himmel auf der Erde haben können, wenn wir das Wunder „Leben“ schätzen würden – alle gemeinsam; wir hätten dafür nicht einmal einen Gott gebraucht.
      Herzliche Grüße
      Rosa

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  2. Zuviele Kriege ständig, schließlich gehört dieser Planet nicht nur den Kriegstreibern, sondern auch den Friedliebenden, aber es ist hoffnungslos. Ich wette, dein Beitrag ist auch in hundert Jahren noch genau so aktuell wie heute und 2011, bestimmt. 😉

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  3. Die Tragik liegt genau in der Erkenntnis, dass Menschsein alle zu beobachtenden Handlungen und Geisteshaltungen beinhaltet. Gewalt, Gier, Machtanspruch, territoriale und Glaubenskriege, Mordlust … ebenso wie den Gegenpol. Wir alle tragen zwei Seiten in uns, die in uns kämpfen. Bei den meisten im Kleinen, bei einigen in ganz großem Stil.

    Das Einzige, was wir dem Irrsinn der Gewalt entgegensetzen können ist, nicht zu resignieren und wenn möglich, pathetisch ausgedrückt, die Flamme des Friedens, der Liebe und der Empathie weiter zu reichen. Auf einen Despoten müssen Millionen Gegner kommen, um das Böse in Schach zu halten. Vermutlich solange es Menschen geben wird.

    GLG, Heather 🍂

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