Das Telefonieren ist inzwischen ein fester Bestandteil unseres Alltags und mit dem Handyboom aus der Welt nicht mehr wegzudenken.
In Russland meiner Zeit war das Telefonnetz nicht wirklich ausgebaut, demnach galt ein privater Telefonanschluss als Luxus, oder schlicht und einfach ausgedrückt – Mangelware. Man bekam ihn nicht einfach so nach Wunsch, nicht einmal nach Bedarf. Weder meine Eltern noch später meine eigene Familie hatten einen Anspruch darauf, auch besaß selten jemand aus dem Verwandtschafts- oder Freundeskreis ein Telefon. Es gab Telefonzellen, die allerdings nicht unbedingt nah am Haus und nicht immer funktionsfähig waren. Sie wurden meistens für dringende Anrufe genutzt (Polizei, Feuerwehr, Notdienst). Man kann sich vorstellen, wie viel wertvolle Zeit im Ernstfall verstreichen konnte, bis man eine intakte Telefonzelle fand und Hilfe bekam.
Als wir in Deutschland unser neues Zuhause bezogen, war darin ein Telefonanschluss schon vorhanden. Wir mussten lediglich die eigene Nummer beantragen und sie registrieren lassen. Natürlich brauchten wir auch einen Telefonapparat. Meine Jungs (damals 20 und 13 Jahre alt) entdeckten im Geschäft ein schickes Ding in Form eines Ferrari, von dem sie schwer beeindruckt waren. Der sollte es sein!

Von da an konnten wir nach Lust und Laune anrufen, wann immer und wen immer wir wollten, ohne dafür die vier Wände verlassen zu müssen.
Gut war auch, dass sich so überraschende Besuche vermeiden ließen. Das war schon in Russland ein Graus für mich, wenn uns ohne Vorankündigung jemand (noch schlimmer – gleich mehrere) besuchen kam. Meistens war dann weder ich selbst vorbereitet, noch die Wohnung aufgeräumt, ganz zu schweigen von etwas Leckerem auf dem Tisch. Das machte mir viel Stress und minderte die Freude des Zusammentreffens erheblich. Man hatte auch nicht immer Zeit für andere und war vielleicht gerade mit etwas Dringendem beschäftigt. Mit einem Telefon konnte so etwas nur selten passieren.
Übrigens war ich sowohl in Omsk als auch anfangs in Deutschland der Mittelpunkt (wenn man das so sagen darf) für all‘ meine Geschwister und ihre Familien; sie hatten uns immer gern besucht. Bis zu diesem Moment, an dem mein verdorbenes Innerstes sich ihnen „offenbarte“ und das „schwarze Fell“ sichtbar wurde.
Das Foto unten zeigt alle Schütz-Geschwister mit EhepartnerInnen in Hemer bei Ananitschev’s im Winter 1993. In der ersten Reihe links Alexey – mein Ältester, ich stehe neben ihm; ganz rechts Paul – der Jüngste. Der Dunkelhaarige hinter mir ist Eugen. Und – bevor ihr euch jetzt lustig macht – ja, ja, ich hatte wirklich eine Dauerwelle … ein Überbleibsel aus dem alten Leben. Die musste erst einmal herauswachsen. 😃

Zurück zum Telefonieren.
Seltsamerweise mag ich – trotz der so vielen angenehmen Vorteile – diese Art von Kommunikation nur bedingt.
Ob da immer noch ein gewisser Respekt eine Rolle spielt? Oder hängt mein Unwohlsein damit zusammen, dass ich denjenigen, mit dem ich am Telefon rede, nicht direkt vor mir sehe? … Macht mich das so unsicher und verlegen? … Vielleicht aber sind diese sonderlichen Hemmungen bloß auf meinen Charakter zurückzuführen. Wenn das Gespräch sich dann noch länger hinzieht, wird es mir an einem gewissen Punkt zu viel und ich verspüre den Drang, die Flucht zu ergreifen.
Aber keine Sorge – wenn meine Frau verhindert ist, nehme ich auch Anrufe entgegen und rede mit FreundInnen und Verwandten, versuche jedoch die Konversation im angemessenen Zeitrahmen zu halten. 😉


Ja, das ist ein richtig spannendes Thema, liebe Rosa!
Ich telefoniere eigentlich nicht mehr so gerne. Früher war das ganz anders … Ich hatte auch soviel mitzuteilen, soviel zu diskutieren. Ja, das ging auch am Telefon sehr gut.
Manchmal muss ein Telefonat sein und ich weiß auch, dass sich gerade gegenwärtig einige Menschen Sorgen um mein Wohlbefinden machen. Also überwinde ich mich – versuche aber meistens, mich möglichst kurz zu halten.
In meiner Kindheit gab es Anschlüsse, die man sich mit anderen Teilnehmern teilen musste. Da konnte es passieren, dass lange besetzt war, ohne dass man selbst hinausrufen konnte. Geduld war oft gefragt! Telefonzellen werden heutzutage oft zu Büchertauschzellen umfunktioniert, finde ich direkt sympathisch :-)
Kann verstehen, dass Deine Burschen voll auf das rote Ferrari-Telefon abgefahren sind. Ein echter Männertraum, dieses Auto ;-)
Und noch eine Gemeinsamkeit – ich mag ebenfalls keine Überraschungsbesuche. Ich bin nicht immer „auf Empfang“, das hat im Moment auch mit gesundheitlichen Herausforderungen zu tun. Und überhaupt, ich empfinde es als distanzlos, einfach mal so vor jemandes Tür zu stehen.
Und frage mich immer wieder, wie haben wir unser Leben vor Handy & Co. denn geschafft? Ganz einfach, man hat sich verabredet, am Festnetz – und dann wurden Verabredungen eben auch eingehalten. Jedenfalls kaum kurzfristig abgesagt, denn man musste ja die Menschen noch erreichen, solange sie zuhause waren. Die Menschen waren in gewissem Sinne eben verbindlicher. Damals war, so scheint es, eine völlig andere Lebenswelt.
Herzensgrüße zu Dir! C Stern
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„In meiner Kindheit gab es Anschlüsse, die man sich mit anderen Teilnehmern teilen musste.“ Ja, wenn schon ein Telefon vorhanden, dann war das in Russland oft ebenso. Trotzdem konnten sich diejenigen glücklich schätzen, auch wenn sie das Telefon teilen mussten.
Computer, Internet und Handys sind schon tolle Erfindungen, missen möchte ich das alles natürlich nicht. Man soll es nur nicht übertreiben. Auch die guten Dinge haben ihre Nachteile und negativen Nebenwirkungen.
Herzliche Grüße
Rosa
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Ich kenne die Hemmungen am Telefon auch, aber eher bei offiziellen Telefonaten, nicht so bei Privatgesprächen. Früher musste ich mich immer lange vorbereiten vor jedem offiziellen Telefonat, hab viele Zigaretten geraucht vorher.
Du bist kein schwarzes Schaf, überhaupt nicht. Man muss nicht gläubig und hetero sein, um ein weißes Schaf zu sein. Ich finde sogar, manchmal sind grade solche Leute eher die wirklich schwarzen Schafe, die überheblichen „besseren“ Menschen, die glauben, durch ihren Glauben automatisch drüber zu stehen. Das ist natürlich Quatsch, die reden sich nur was ein. Man kann auch als Atheist ein guter Mensch sein und auch wenn man nicht hetero ist. Das hat doch damit nichts zu tun! Ich glaube an einen Gott, der auch die Menschen liebt, die nicht an ihn glauben, und dass die auch in den Himmel kommen, aber erst, nachdem sie auf der Erde ihr Leben auch in vollen Zügen genossen haben!
Zum Telefonieren noch: Da finde ich Videotelefonieren mittlerweile echt gut. Da kann man locker nebenher mitnander nen Kaffee trinken und es ist einfach entspannter.
Das Ferrari-Telefon ist natürlich total abgefahren! 🙂👍🏻
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Danke dir, liebe Nell!
Nein, ich empfinde mich auch nicht als ein schwarzes Schaf, sondern als eine ganz normale Frau und ein guter Mensch noch obendrauf. 🙂 Und du hast recht – wir sind auf dieser Erde, um das Leben zu genießen, und nicht, um uns für das Jenseits vorzubereiten. Ob mit oder ohne Glauben an Gott.
Herzliche Grüße
Rosa
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♥️🍀❤️
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Ich kann deine Hemmungen beim Telefonieren sehr gut nachempfinden, liebe Rosa und ich überlege, ob es wohl bei dir und mir heute anders wäre, wären wir mit dieser ‚Erfindung‘ groß geworden?! Nimm heute mal einem jungen Menschen nur für einen Tag das Handy weg – da droht sofort ein medizinischer Notfall oder eine Therapie🤭.
Meine Telefonphobie ist Bestandteil der sozialen Phobie und war/ist besonders ausgeprägt, wenn ich anrufen muss. Es ist wichtig, dass ich Mimik und Reaktionen visuell wahrnehmen kann (nein, Videotelefonie ist auch keine Option). Hinzu kommt, dass ich mir wie ein Depp vorkomme, wenn ich aufgrund schlechter Akustik mal etwas nicht verstehe und nachfragen muss. Bei Handys kommt das noch häufiger vor.
Mein gefürchtetster ‚Endgegner‘ war, es liegt schon Jahrzehnte zurück, ein sonst sehr lieber Freund, der selbst gerne anrief, aber eigentlich nichts zu sagen hatte. Mit wachsenden Schweißpfützen auf der Stirn hielt ich mühsam eine Konversation aufrecht und stellte Fragen, die er in aller Kürze beantwortete, um sich sofort wieder in Schweigen zu hüllen. Diese Pausen, in denen man die Engelein durchs Zimmer fliegen hören konnte, waren für mich der Horror!
Aber natürlich erkenne ich den großen Nutzen, jederzeit Kontakt knüpfen zu können, insbesondere bei Notfällen oder innerhalb einer großen Familie, aber ein Telefonierjunkie werde ich nicht mehr!
So jetzt lege ich aber auf! 📞 ☎️ LG nach Hemer!
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Du hast es noch treffender erfasst, liebe Heather, und dem ist fast nichts mehr hinzuzufügen. 😊 Videotelefonie kommt auch für mich nicht infrage und fühlt sich irgendwie noch schlimmer an. Eine in Russland lebende Verwandte von Eugen hat mir das einmal vor Jahren angeboten und ich habe sofort abgelehnt – unter Vorwand, ich hätte keine Kamera am PC (war allerdings gelogen). Inzwischen besteht zwischen uns ohnehin kein Kontakt mehr, aufgrund der unterschiedlichen Meinungen zum Ukraine-Krieg.
Viele herzliche Grüße nach Nordhessen
Rosa
PS: Wir schreiben uns lieber, nicht wahr? 😉
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Unbedingt! ⌨️ +🖋️🤗
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