Bad Sooden-Allendorf … diesen Ort erkläre ich hiermit zu meiner Urheimat. Das klingt ein wenig pathetisch, ich weiß. Doch schon bei meinem ersten Besuch im Sommer 2021 habe ich diese alte Stadt in Hessen ins Herz geschlossen und dort verankert – als meine verlorene und wiedergefundene Heimat. Es ist so, als ob mein Herz die Fühler ausgestreckt, seine Wurzeln in diesem Ort ertastet und sich damit verbunden hätte. Auch das klingt pathetisch – aber ich kann dieses eigenartige, innige Empfinden kaum anders ausdrücken.
„Meine Urheimat“ weiterlesenSchlagwort: Mutter
Geburtstag
Mein Geburtstag ist abermals vorbei und abermals bin ich froh darüber. Ich mag ihn nicht, mag es nicht, ihn zu feiern, mag nicht einmal Gratulationen entgegenzunehmen. Natürlich tue ich das trotzdem, bedanke mich für die lieben Wünsche, lache und „freue“ mich. Aber ich nehme es auch keinem übel, der mir erst nachträglich gratuliert oder es ganz vergisst.
Warum ist das so?
„Geburtstag“ weiterlesenTanzen
Als Mädchen hätte ich so gern tanzen gelernt. Doch das war in unserer Familie verboten, da es für meine streng gläubigen Eltern als Sünde galt, wie allerdings so vieles andere auch. Ich verstand nicht, warum gerade Dinge, die Freude machten, bei den Baptisten nicht erlaubt waren. Dazu gehörten ebenso Fernsehen, Kinobesuche, nicht christliche Musik, nicht christliche Bücher, Schminken, modische Frisuren und Kleidung. Von Rauchen und Alkohol ganz zu schweigen. Die letzteren zwei könnte ich ja noch akzeptieren. Aber warum, zum Teufel, durfte ich nicht in Anwesenheit meiner Mutter laut und ausgelassen lachen? …
„Tanzen“ weiterlesenNicht zu fassen
Das Neueste aus Russland
Alexej Nawalny’s Mutter Ljudmila Nawalnaja berichtet, ihr sei die Leiche ihres Sohnes im Leichenschauhaus von Salechard gezeigt worden. Laut Nawalnaja wurde sie am Abend des 21. Februar in die Leichenhalle gebracht, wo sie ein ärztliches Attest über den Tod ihres Sohnes unterschrieb. Sein Körper wurde ihr jedoch nicht übergeben. Stattdessen legten die Ermittler Bedingungen fest – wo, wann und wie Alexej Nawalny begraben werden darf.
„Nicht zu fassen“ weiterlesenDer Kreis hat sich geschlossen
In dieser überarbeiteten Fassung sind zwei meiner früheren Blogartikel vereint: „Ein Ort zum Innehalten“ und „Zwei Orte – zwei Charaktere“. Ich finde, sie gehören zusammen, handelt es sich doch um meine Vorfahren. Die Geschichte ist ebenso im Almanach 2022 der Deutschen aus UdSSR-Nachfolgestaaten enthalten („Hier war ich, dort bin ich“).
„Der Kreis hat sich geschlossen“ weiterlesenKeine Faulheit!
Drabble
Der Samstag galt im Elternhaus als Putztag. Das ganze Haus aufzuräumen, Staub zu wischen und die Böden zu säubern, war mir ein Graus. Man bedenke – im Dorf gab es viel Dreck. Aber ich musste es tun, auch wenn ich erst zwölf Jahre alt war. Mutter duldete keine Faulheit.
Nachdem die Arbeit erledigt war, fühlte ich mich ebenso erledigt, doch auch froh, es wieder geschafft zu haben. Es war ein schönes Gefühl, die sauberen Zimmer noch einmal zu inspizieren und die letzten Kleinigkeiten zu korrigieren. Nun konnte ich mich den Dingen widmen, die mir wirklich Spaß machten.
Bis zum nächsten Putztag.

Nicht nur Eigenwerbung
Der neue Literaturalmanach 2022 mit Werken der russlanddeutschen Autorinnen und Autoren ist bei mir angekommen. Ich freue mich aufs Lesen, denn ich weiß – es wird bewegend. Umso größer die Freude, da auch mein Beitrag, mit dem Titel „Der Kreis hat sich geschlossen“, sein Plätzchen im Buch fand.
„Nicht nur Eigenwerbung“ weiterlesenBis ins Bodenlose
Hat die Unmenschlichkeit eine Grenze? … Wenn ich so manche Äußerungen aus der russischen Bevölkerung lese oder Videos sehe, dann komme ich zum Ergebnis – sie geht bis ins Bodenlose. Da scherzen Moderator Anton Krasovsky und Schriftsteller Sergej Lukjanenko in einer Fernseh-Talkshow über russische Vergewaltiger in der Ukraine, sie hätten Viagra erhalten, um ukrainische Omas zu vergewaltigen. Diese Omas würden doch ihre Ersparnisse dafür hergeben, um von russischen Soldaten vergewaltigt zu werden! Im selben Gespräch einen Augenblick weiter ruft Krasovsky auf, ukrainische Kinder zu ertränken und zu verbrennen, damit aus ihnen keine Feinde Russlands heranwachsen. Dagegen scheint ja die Tatsache, dass Kinder auf jede Art und Weise in der Ukraine eingesammelt und für die Umerziehung nach Russland verschleppt werden, schon fast harmlos.
„Bis ins Bodenlose“ weiterlesenFür Ida
In Gedenken an meine Schwester Ida. Sie starb am 29. September 2017.
Meine liebe Schwester, es tut mir unendlich leid, dass ich diese Zeilen erst jetzt schreibe und Du sie nicht mehr lesen kannst. Auch in meinem Buch habe ich Dich nur am Rande erwähnt, obwohl mich mit Dir doch so vieles verbindet. Und es tut mir leid, dass wir in den letzten Jahren Deines Lebens außer gelegentlichem Telefonieren keinen regelmäßigen Kontakt hatten. Wie so oft, wird es einem bewusst, was man alles versäumt hat, erst dann, wenn es zu spät ist.
Beim Recherchieren entdeckt
Zu meiner großen Überraschung entdeckte ich neulich beim Recherchieren eine meiner Übersetzungen nach dem Buch „In der sibirischen Kälte“, veröffentlicht auf der Homepage des Deutschen Hauses der Republik Tatarstan.
Ja, ich erinnere mich, dass ich 2021 diesen Text, in dem es um meinen Vater geht, auf Anfrage des Leiters eingereicht habe. Da keine Rückmeldung kam, dachte ich, daraus wäre nichts geworden. Aber – siehe da, die Geschichte wurde doch veröffentlicht.
„Beim Recherchieren entdeckt“ weiterlesenPost mortem
Wenn etwas Wichtiges ungesagt bleibt oder du sogar bewusst etwas vor einem nahestehenden Menschen verheimlicht hast, dann beschäftigt dich das auch nach seinem Tod. Jedenfalls geht es mir so in Bezug auf meine Eltern.
„Post mortem“ weiterlesenSchritte der Einsamkeit
Kurzgeschichte
Die Idee kam wie auf Flügeln daher, als habe der frische Wind, der heute durch die Stadt fegte, sie irgendwo aufgewirbelt und werfe sie jetzt mit anerkennendem Pfiff der verwunderten Frau direkt an die Stirn. Er zerzauste ihr das Haar, strich die Treppe empor und verschwand hinter dem Gebäude. Danach herrschte Stille.
„Schritte der Einsamkeit“ weiterlesenBetreffend Familie
Zwanzig der insgesamt hundert Fragen habe ich nun beantwortet und … bin stecken geblieben. Demnächst soll es um die Eltern, Großeltern und Geschwister gehen. Darüber habe ich jedoch schon viel in meinem Buch und in früheren Beiträgen geschrieben. Das Gleiche noch einmal zu wiederholen oder zu umschreiben würde wenig Sinn ergeben und es fühlt sich auch irgendwie falsch an. Deswegen habe ich beschlossen, nicht weiterzumachen.
Ob ich vielleicht die eine oder andere der übrigen Fragen doch als Thema für einen Blogartikel aufgreife? Das überlege ich mir noch. 😉
Die Buttons unten führen zu drei meiner bereits auf der Homepage und in diesem Blog veröffentlichten Texte.
Vor dem Morgengrauen
20. Waren Sie als Kind oft krank?
Als Kind war ich kaum krank. Ich hatte zwar ab und zu Ohren- oder Halsschmerzen, aber sonst, was den Körper angeht, nichts Gravierendes. Zum Glück hatte ich auch keine Zahnprobleme und blieb somit von den damaligen grausigen Behandlungen verschont.
Die Psyche ist eine andere Geschichte. Erst im erwachsenen Alter ist mir klar geworden, dass ich als Kind depressiv war. Wenn man mich gefragt hätte, was mir fehlt, hätte ich das damals nicht sagen, nicht beschreiben können. Es war wie ein unangenehmer Beigeschmack am Dasein, wie ein Ziehen und Nagen an der Seele … Wie ein Schatten in der Ferne, über dem grünen Waldstreifen; ich spürte ihn, wenn ich meinen Blick an den Horizont richtete. Etwas Dunkles schaute mir entgegen und mein Herz zog sich zusammen.
Zwei Orte – zwei Charaktere
Im Beitrag „Ein Ort zum Innehalten“ habe ich schon erwähnt, dass meine Frau und ich auf dem Nachhauseweg aus Bayern einen Abstecher nach Kirchheimbolanden machen werden, in den Ort, aus dem die Vorfahren meiner Mutter kommen.
Das haben wir auch getan.
Spielen – drinnen und draußen
Autobiografisch geht es weiter.
13. Was war Ihr Lieblingsspielzeug? 14. Was war das liebste Spiel draußen?
Jetzt bin ich aber am Grübeln. Spielzeug? … Ich könnte sagen – ich hatte keins, und das würde auch so ziemlich der Wahrheit entsprechen. Kann man den Puppenkopf, mit dem ich auf einem Kinderfoto zu sehen bin (an die Puppe selbst erinnere ich mich nicht einmal), als Spielzeug betrachten?
„Spielen – drinnen und draußen“ weiterlesenDas Grab meiner Mutter
Es ist für mich inzwischen so selbstverständlich – mein Leben im Wohlstand, in der Demokratie. Und doch denke ich oft an vergangene Zeiten, daran, was für ein Glück (im Unglück) ich hatte, in Russland als Deutsche geboren zu sein. Sonst wäre meine Familie dem totalitären Regime wohl niemals entkommen.
Eigenartig, dass das Land mir erst im Nachhinein wie ein Albtraum vorkommt. Als ich noch dort lebte und keine Alternativen kannte, schien mir mein Leben normal zu sein.
Ich hatte zu arbeiten und meine Kinder zu versorgen, mich um meinen Mann zu kümmern und meine Freundschaften zu pflegen. Natürlich hatte ich reichlich Kummer, aber auch viele Glücksmomente.
Was der Sozialismus wirklich bedeutet, zeigte sich den Menschen erst in den letzten Jahren der Sowjetunion. Denn als das morsche System in sich zusammenbrach, erblickten wir die zahllosen Leichen im Keller. Die ganze Welt erschauderte angesichts der unmenschlichen Verbrechen an der eigenen Bevölkerung.
Nicht im Krieg, nicht in der Dürrezeit …
(aus dem Russischen)
Winter 1932–1933 in Rostow am Don. Ich bin sieben Jahre alt. Immer öfter höre ich das Wort Hunger. Es gibt auch andere neue Wörter: Essensmarke, Bons, Torgsin*. Torgsin ist für mich so etwas wie ein Märchen, ein Schlaraffenland. Mama bringt ihren Ring und ein paar silberne Löffel dorthin. Ich stehe am Schaufenster und sehe Würstchen, schwarzen Kaviar, Süßigkeiten, Schokolade, Törtchen. Ich verlange nicht danach – verstehe ich doch sehr gut, dass meine Mutter das nicht kaufen kann. Aber ich bekomme etwas Reis und ein Stückchen Butter.
„Nicht im Krieg, nicht in der Dürrezeit …“ weiterlesenDas Alte von Neuem?
Dezember überstanden, wieder einmal. Der Januar und somit das Jahr 2021 nimmt seinen Lauf. Meine Stimmung hat sich gebessert. Bis zum nächsten Dezember oder bis zu irgendeinem Vorfall, der mich wieder aus der Bahn wirft. Da braucht es eigentlich nicht viel. Ich sage nur: Mein Kind. Meine Sorgen. Mein Sorgenkind. Das ist etwas, das ich nicht lösen kann, da hilft auch keine Therapie. Irgendwie muss ich allein einen Weg finden. Oder weiter mir selbst Angst machen, mich quälen …
„Das Alte von Neuem?“ weiterlesenDu bist (m)ein Schatz
Du hast mich wieder beruhigt, mein lieber Sohn. Nach dem Telefonat mit dir geht es mir schon besser. Du kannst das anscheinend genauso gut, wie dein Vater es konnte. Egal, wie groß meine Sorgen waren, er hat es immer geschafft, mir die Schwere aus den Gedanken zu nehmen. Das war von Anfang an und bis zu seinem Tod so. Auch als wir schon nicht mehr zusammen waren, brauchte ich ihn nur anzurufen und ihm von meinem Problem zu erzählen – er fand jedes Mal die richtigen Worte für mich. Es war der Ton, wie er es gesagt hatte, das Zuversichtliche, das in seiner Stimme lag, die Besorgnis um mich … Vielleicht war es auch das Zusammenspiel von alledem plus eine andere Fähigkeit, die nur er besaß – ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass er dieses Einzigartige (unter anderen guten Eigenschaften) an dich weitergegeben hat.
Du bist ein Schatz – nicht nur für mich, deine Mutter, sondern auch für alle Menschen, die dich kennen und lieben, und – die du liebst.




