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Orden des mütterlichen Ruhms

In einer Schubladenecke zwischen den alten, noch aus meiner früheren Heimat mitgebrachten Zeugnissen, Bescheinigungen und Urkunden, fand ich neulich ein kleines, festes, rotes Büchlein – ein sogenanntes Orden-Zertifikat (Орденская книжка). Ausgestellt wurde es 1959 auf den Namen und zu Ehren meiner Mutter, die im Oktober 1957 (damals war sie 44 Jahre alt) ihr siebtes und letztes Kind zur Welt gebracht hatte. Der Orden selbst muss wohl noch in Russland abhandengekommen sein. Meine Schwester (die Schuldige sozusagen) besitzt ihn jedenfalls nicht, kann sich aber noch erinnern, wie er aussah und auch daran, dass ihr zur Hochzeit von den Eltern 600 Rubel überreicht worden waren, eine Summe, die im Laufe der Jahre als Kindergeld zusammenkam. Ich weiß nicht, wie lange das Geld gezahlt wurde, aber es waren 10 oder 12 Rubel im Monat. Ein lächerlicher Betrag, der immerhin zu einem schönen Hochzeitsgeschenk angewachsen worden war, wenn man bedenkt, dass ich als Bibliothekarin (zum Beispiel) nicht mehr als 90 Rubel monatlich verdient hatte.

Der Orden des mütterlichen Ruhms war im Juli 1944 von Stalin ins Leben gerufen und in drei Stufen unterteilt.
Mütter mit neun Kindern bekamen einen Orden der 1. Stufe; Mütter mit acht Kindern – einen der 2. Stufe; Mütter mit sieben Kindern bekamen einen Orden der 3. Stufe.
Das Schmuckstück bestand aus Silber. Ja, und dazu gab es dann je nach Stufe ein paar Rubel Kindergeld.

Interessant ist, dass es in Deutschland schon vorher ein Ehrenkreuz der Deutschen Mutter, kurz Mutterkreuz, gab. Es wurde am 16. Dezember 1938 per Verordnung von Adolf Hitler gestiftet. Die Eingangsworte dieser Verordnung lauteten: „Als sichtbares Zeichen des Dankes des Deutschen Volkes an kinderreiche Mütter stifte ich das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter.“
Die Einteilung des Ehrenkreuzes folgte den damaligen Ordensstatuten und war ebenso dreistufig angelegt. So konnte die Mutter die dritte Stufe (Bronze) erhalten, wenn sie vier oder fünf Kinder hatte, zweite Stufe (Silber) – wenn sie sechs oder sieben Kinder hatte, erste Stufe (Gold) – wenn sie acht oder mehr Kinder hatte. Unter bestimmten Umständen konnte das Mutterkreuz auch wieder der Trägerin entzogen werden, und zwar in jenen Fällen, in denen sie sich „unwürdig“ verhielt, wobei dieser Begriff stark gedehnt wurde. Als unwürdiges Verhalten galt unter anderem die Liebesbeziehung zu einem Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeiter [Wikipedia].

Hatte Josef Stalin seinen Freund und später Feind Adolf Hitler in dieser Sache womöglich nachgeahmt?

Allerdings ist das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter als verfassungsfeindlich anerkannt worden; es gehört zu nationalsozialistischen Auszeichnungen, deren Führung in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen vom 26. Juli 1957 in keiner Form zulässig ist. Das Herstellen, öffentliches Tragen oder Verbreiten des Abzeichens sind verboten [Wikipedia].

In Russland hingegen wurde die Orden-Verleihung, soweit ich weiß, erst 1990 eingestellt.

Zertifikat (Urkunde) zum Orden des mütterlichen Ruhms, 3. Stufe
Zertifikat (Urkunde) zum Orden des mütterlichen Ruhms, 3. Stufe

Autor:

Geboren bin ich 1954 in einem deutschen Dorf in Westsibirien (Gebiet Omsk), lebe seit 1992 in Deutschland. Nach 18 Jahren Bibliotheksarbeit in Omsk und 20 Jahren in der Stadtbücherei Lüdenscheid bin ich nun seit Dezember 2019 Rentnerin. Ich schreibe gern für meine Blogs und für die Homepage. Es gibt zwei Buchveröffentlichungen von mir: "In der sibirischen Kälte" und "Andersrum". Einige meiner Texte sind auch als eBooks im Internet frei zugänglich.

9 Kommentare zu „Orden des mütterlichen Ruhms

  1. Wie ähnlich sie sich doch im Grunde sind, die Diktatoren und die Diktaturen. Das finde ich sehr bezeichnend. Und auch dass die Orden und Ehrungen in der UdSSR so lange durchgehalten worden sind. Mütter als Märtyrerinnen. Mütter und Märtyrerinnen. Ein tiefes Thema.
    Danke für diesen Beitrag. Schubladen halten doch oft Schätze für uns bereit…

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  2. Wobei ich das Hitlersche Mutterkreuz besonders widerwärtig finde, weil es schon vom Zeitpunkt seiner Stiftung her suggeriert, dass die Mütter für die Produktion von Kanonenfutter geehrt werden sollen …

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  3. Ja wollt ich grad auch bemerken, da schrieb es Myriade schon – als Ehrung für das dringend gebrauchte Kanonenfutter – von langer Hand geplant und ausgeführt. Wie ist es eigentlich heute bei uns in Deutschland? Mütter werden da nicht geehrt – wenn sie zu Hause bleiben um ihre Kinder gut großzuziehen, werden sie Gestrige genannt, wenn sie ihr Kind in der Krippe abgeben werden sie Rabenmütter genannt. Besonders das Heer der Alleinerziehenden mit ihren doppelt und dreifachen Belastungen gehörten mal lobend erwähnt und vielleicht sogar finanziell bedacht, statt sie später in der Rente ins Sozialhilfe-System fallen zu lassen.

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    1. Da hast du recht. Aber in Russland war es noch schlimmer. Als Mutter musste man zusehen, wie man das hinkriegt – Kind und Arbeit, da war nichts mit Erziehungszeiten. Ich hatte zum Glück die Schwiegermutter, die auf die Kinder aufpassen konnte, und mit 2-3 Jahren kamen sie dann in den Kindergarten.

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